Klassisches Theater in der Moderne

Homburg · Gelungene Inszenierung, trotz anfangs schlechter Akustik: Inszenierung von Dostojewskijs „Schuld und Sühne“ erfreute und überzeugte die Zuschauer.

 Zwischen Moderne und Tradition, zwischen Erzählen und Darstellen entführte das Landestheater Württemberg-Hohenzollern im Kulturzentrum Saalbau in die Welt von Dostojewskijs „Schuld und Sühne“. Foto: Thorsten Wolf

Zwischen Moderne und Tradition, zwischen Erzählen und Darstellen entführte das Landestheater Württemberg-Hohenzollern im Kulturzentrum Saalbau in die Welt von Dostojewskijs „Schuld und Sühne“. Foto: Thorsten Wolf

Foto: Thorsten Wolf

Dostojewskijs Werke firmieren nicht ohne Grund unter dem Markenzeichen "schwere Kost" - befasste sich der 1881 verstorbene russische Schriftsteller doch in "Schuld und Sühne", "Der Spieler", "Der Idiot", "Die Dämonen" und auch in seinem Klassiker "Die Brüder Karamasow" mit den großen Fragen zu den politischen, sozialen und spirituellen Verhältnissen eines sich im 19. Jahrhundert im Umbruch befindlichen russischen Zarenreiches. So hielt am Donnerstagabend mit der Aufführung von "Schuld und Sühne" in der Inszenierung des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen großes und klassisches Theater Einzug im Homburger Kulturzentrum Saalbau. Dem alles andere als antiquierten Stoff gab das Ensemble mit Michael Ruchter, Franziska Beyer, Carolin Schupa, Daniel Tille und Raphael Westermeier unter der Regie von Gernot Grünewald einen modernen Anstrich - ohne die Zeitlosigkeit mit Effekthascherei zu konterkarieren. Tatsächlich sorgte ein drehbares Bühnenelement als zentraler Punkt der Inszenierung, der fortlaufende Wechsel der Darsteller vom Erzähler zur Rolle und wieder zurück und auch der sinnhafte Einsatz von Videoprojektionen für eine angenehme Erzählgeschwindigkeit - damit wurde man der Geschichte des Rodion Romanowitsch Raskolnikow (Michael Ruchter), dem Protagonisten von Dostojewskijs Meisterwerk, in einem Maße gerecht, das der Komplexität der Geschichte Tribut zollte, ohne sich dabei zu verlieren. Immerhin galt es, die vielfältigen Verstrickungen von Armut, sozialer Ausgrenzung, Hybris, Überlegenheits-Ideologie, Verachtung, Gewalt und, schließlich, Erkenntnis in einer nachvollziehbaren Art und Weise auch dem zu vermitteln, dem "Schuld und Sühne" in seiner Vielschichtigkeit fremd ist.

Dies gelang der Inszenierung. Und im Wechselspiel zwischen Tradition und Moderne wurden Dostojewskijs Botschaften in den verdienten Rang der Zeitlosigkeit erhoben: Erlaubt ihm seine gefühlte Überlegenheit, sich von der Menschheit und der Menschlichkeit zu distanzieren und mit Gewalt und Tod diesem Weltbild ein Gesicht zu geben - für Dostojewskijs Raskolnikow wird diese Frage zu einem grausamen Spiel mit Antworten, mit denen er kaum leben kann. Sein Mord an der "Laus" Pfandleiherin (Franziska Beyer) als von ihm erdachtes Exempel für seine These, dass alle großen Menschheitsführer Verbrecher seien und dies auch sein müssten, um ihre Vision zu erfüllen, wendet sich gegen ihn.

Ihren Antrieb findet Dostojewskijs Romanfigur als verarmter, aber hoch begabter Student in einem Russland des 19. Jahrhunderts, das in seinen wirtschaftlichen und sozialen Widersprüchen und Brüchen gar ersäuft - und Raskolnikow mit sich zieht. Dessen Irrglaube: Eben der Mord könnte ihn von dieser Last befreien, ihm seine hinderliche Menschlichkeit nehmen und ihn das werden lassen, war er zu sein glaubt: überlegen. Doch eben seine Menschlichkeit ist es, die ihn am Ende verzweifeln und krank werden lässt - bis hin zum Moment der Sühne im Angesicht von Dunja (Carolin Schupa): "Ich habe um meiner selbst willen gemordet. Dabei habe ich mich selbst ermordet." Dass Raskolnikow am Ende eben in der Liebe Dunjas Erlösung findet, verdeutlicht Dostojewskijs versöhnliche Botschaft einer komplexen und humanen Wirklichkeit.

Weniger versöhnlich am Donnerstagabend: Die zeitweise Tonqualität der Aufführung. Vor allem im ersten Akt hatten die Zuschauer in den ersten Reihen deutliche Schwierigkeiten, den Worten der Schauspieler zu folgen. Dies sollte sich aber im zweiten Akt und nach einer entsprechenden Anpassung der Tonanlage deutlich bessern.

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