Stengels Stempel

Saarbrücken/Mannheim · Barockstädte aus dem Saarland sind bei der Barock-Ausstellung in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen mit dabei. Die SZ stellt in einer Serie die Barockperlen vor – heute Saarbrücken.

Ausstellungsbegleitend zu der am 11. September gestarteten Mannheimer Sonderausstellung "Barock - Nur schöner Schein?" der Reiss-Engelhorn-Museen wurde das kulturtouristische Netzwerk "Barockregion Südwest" ins Leben gerufen, das 41 ausgewählte Orte in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland umfasst - darunter auch Saarbrücken.

Sich die saarländische Landeshauptstadt ohne Ludwigsplatz und Schlossplatz, St. Johanner Basilika und "Stengel-Brunnen" vorzustellen, fällt schwer. Zu sehr prägen diese barocken Wahrzeichen seit rund 250 Jahren die beiden einstmals selbstständigen Städte Saarbrücken und St. Johann. Dabei ist es dem Fürsten Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken, seinem Sohn und Nachfolger Ludwig und ihrem gemeinsamen Baumeister Friedrich Joachim Stengel zu verdanken, dass hier nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges und dem nahezu vollständigen Niederbrennen Saarbrückens 1677 durch französische Truppen ab 1739 eine Idealstadt "à la porcelaine" mit ihrem schon von Goethe bewunderten grauweißen Farbkonzept entstand.

Wenn auch vieles im Laufe der Jahrhunderte durch Kriegszerstörungen , Plünderungen und Modernisierungen verloren ging, zählen die noch erhaltenen - oder nach dem Untergang im Zweiten Weltkrieg oftmals wiedererstandenen - Relikte mithin zum Eindrucksvollsten, was die Barockregion Südwest zu bieten hat: So etwa das Ludwigsplatz-Ensemble, das zu den schönsten dieser Art in Deutschland gerechnet wird, während die in der Mitte thronende "Neue Lutherische Kirche" - Stengels Meisterwerk - sogar die Rückseite der 2009 geprägten deutschen Zwei-Euro-Münzen ziert. Dass dieses bemerkenswerte Ensemble nach schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg weitgehend wieder hergestellt wurde, unterstreicht die Bedeutung des barocken Erbes als identitätsstiftendes Element für Saarbrücken. Dass Stengels Werk und Ideen darüber hinaus nichts von ihrer Kraft verloren haben, beweist zudem das jüngst auf den Weg gebrachte Städtebauprojekt "Barock trifft Moderne". Dass sich um die Wahrung des Stengelsschen Erbes bei der bevorstehenden Renovierung der Ludwigskirche ein Streit entzündet hat, beweist den Wert dieses Wahrzeichens fürs Saarland.

Ausgangspunkt und Impulsgeber für den Umbau und die Erweiterung Saarbrückens zu einer auf Blicksachsen beruhenden barocken Residenzstadt war "die Krone der Saarstädte" - das Schloss: 1738/39 hatte Stengel nach eingehender Begutachtung mit dem Abriss der vormaligen Renaissance-Anlage und dem Neubau jener Dreiflügelanlage begonnen, die Knigge 1792 als eine "der schönsten Fürstenwohnungen in Teutschland" rühmte. Ein Jahr später bereits ging es durch Unachtsamkeit französischer Besatzungssoldaten in Flammen auf, anschließend wurde ab 1810 aus dem "Stengel-Schloss" das heutige Bürgerschloss. Erhalten oder nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut wurde hingegen die barocke Platzbebauung Friedrich Joachim Stengels mit Altem Rathaus, Erbprinzenpalais und darauf abgestimmten Wohnhäusern. Am Schlossplatz befinden sich zudem mit der Alten Sammlung des Saarlandmuseums und dem benachbarten Museum in der Schlosskirche zwei kulturhistorische "Schatzkammern", die einen glanzvollen Eindruck von der barocken Blütezeit zwischen Saar, Pfalz und Mosel vermitteln.

Auch auf der anderen Saarseite setzte Stengel in älterem Baubestand Akzente - wie etwa den St. Johanner Marktbrunnen, die nach seinen Plänen entstandene Basilika, diverse Wohnhäuser oder die ab 1764 entstandene "Untere Vorstadt", die den Grundstein zur heutigen Bahnhofstraße legte. Hier hat sich mit dem ehemaligen Wirtshaus "Zum Stern" von 1776 nicht nur das älteste Haus in Saarbrückens Fußgängerzone erhalten, sondern mit seinem ursprünglichen Innenhof zugleich eine ungeahnte Oase inmitten des geschäftigen Treibens drumherum. Ein weiteres lebendiges Erbe der Barockzeit in St. Johann ist das Stammhaus der 1702 gegründeten Brauerei Bruch - heute ältester noch existierender Handwerksbetrieb an der Saar -, der aufgrund dieser Tradition regelmäßig die Entdeckungstour "Goethe, Gold und Gaumenfreuden" anbietet, bei der man sich auch kulinarisch dem 18. Jahrhundert nähern kann. Nicht alles in St. Johann, was so aussieht, ist indes von Stengel geschaffen worden. Vielmehr erhielten etliche Gebäude erst um 1938 im Zuge der Neugestaltung der Altstadt ihr barockes Gepräge. Es ist Karl Lohmeyer zu verdanken, dass Anfang des 20. Jahrhunderts neben Stengels Bauten weitere barocke Werke entdeckt wurden.

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Hintergrund In Saarbrücken werden regelmäßig öffentliche Stadt- und Kostümführungen rund um das Thema Barock angeboten. Nähere Informationen hierzu gibt es unter Tel. (06 81) 93 80 90. Informationen zu dem kulinarischen Stadtspaziergang "Goethe, Gold und Gaumenfreuden" unter Tel. (06 81) 93 64 50 sowie zur "Mondscheintouren für Genießer" unter Tel. (06 81) 9 32 70. Informationen zu Saarbrücken als Station der Barock-Straße Saar-Pfalz gibt es im Internet unter www.barockstrasse-saarpfalz.de/barockstrasse/4171.htm . Informationen zur "Barockregion Südwest" unter www.barock2016.de/barockregion . Die vom Regionalverband Saarbrücken herausgegebene Broschüre zur "Stengel-Promenade" ist kostenlos bei den Tourist-Informationen im Bürgerschloss sowie im Rathaus erhältlich.

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