Heimat ist ein deutscher Begriff seit Luther

Saarbrücken · „Oh Heimatland!“: Dieser Stoßseufzer ist nicht mehr angesagt. Vielmehr ist das Thema „Heimat“ inzwischen so spannend, dass sich viele Fachbereiche der Unis darum kümmern. So auch bei einer Tagung in Saarbrücken.

 Die „Herberge zur Heimat“ am Saarbrücker Ludwigsplatz (Archivbild aus den 1980er Jahren) bietet Obdachlosen Schutz. Foto: SZ

Die „Herberge zur Heimat“ am Saarbrücker Ludwigsplatz (Archivbild aus den 1980er Jahren) bietet Obdachlosen Schutz. Foto: SZ

Foto: SZ

Mit den Vorbereitungen auf das Luther-Jahr 2017 hat die heute endende Tagung des Fachbereichs für Kunst- und Kulturwissenschaft der Saar-Uni nichts zu tun. Doch die etwa 70 Wissenschaftler, die ins schmucke Jägerheim der Uni strömten, haben dem evangelischen Reformator zu danken. "Heimat ist ein deutscher Begriff seit Luther", sagte die Jenaer Religionspädagogin Sylvia Kleeberg-Hörnlein. Erst Luther habe mit seiner Bibelübersetzung die Heimat eingeführt, bei Griechen und Römern existierte der Begriff demnach nicht.

Hinter dem Tagungs-Motto "Heimat zwischen Kitsch und Utopie. Kulturwissenschaftliche Annäherungen an ein brisantes Forschungsfeld" verbarg sich eine wahre Wundertüte neuester Forschungsergebnisse, deren Bandbreite allein am Freitagvormittag bei einem Vergleich der Bildwelten des "Sehnsuchtsortes Heimat " im Andrei-Tarkovsky-Film "Nostalghia" (1982) und der Werbung für die Siedlung "Am Heimatblick" in Freital bei Dresden, vorgetragen von Professor Hans-Georg Lippert (siehe SZ-Interview in der Donnerstagausgabe), begann. Weiter ging es über die "Fantasie Afrika" der Kunstpatrone Ulli und Georgina Beier (Katharina Greven, Bayreuth) und den konzentrierten Blick in das gewaltige "Heimat "-Film-Epos von Edgar Reitz (Bernd Mohnhaupt, Saarbrücken ). Der "protestantische Blick" Kleeberg-Hörnleins auf das "menschliche Dasein als Pilgerschaft zwischen irdischer und ewiger Heimat " bildete den anderen Eckpunkt. Die Jenaerin verwies auf die Anstrengungen der Protestanten , sozial schwachen Menschen seit dem 19. Jahrhundert "Herbergen zur Heimat " als Unterschlupf zu gewähren. Aus dieser Zeit stammt auch die "Herberge zur Heimat " am Saarbrücker Ludwigsplatz, die seit 1870 Obdachlosen Betten anbietet.

Doch die eigentliche Heimat der Protestanten sei der Himmel, das habe sie Jesus gelehrt, sagte Kleeberg-Hörnlein. Den Einwand eines Zuhörers, dass am Dienstag Millionen bibeltreuer Protestanten im Mittleren Westen der USA das wohl vergessen hätten, als sie Donald Trump zum Präsidenten wählten, der die Heimat "wieder groß" machen wolle, ganz irdisch, ließ die Forscherin nicht gelten. "Das sind Evangelikale, keine Protestanten in den USA", so Kleeberg-Hörnlein.

Professor Lippert ließ die tiefe Melancholie der Bildwelten des 1986 im Alter von 54 Jahren im Pariser Zwangs-Exil verstorbenen sowjetischen Film-Regisseurs Tarkovsky wieder aufleben. Tarkovsky baute bei seinem epochalen Film "Nostalghia" sogar eine Holzhütte aus seiner russischen Heimat in den Innenraum einer Kathedralenruine nahe Siena ein, um seine Botschaft, "die globale Trauer um das ganzheitliche Sein", auszudrücken. Die Sowjetunion ließ ihn nach den Dreharbeiten in Italien nicht wieder einreisen, daran zerbrach der Filmkünstler.

Als Kontrast zur Schlussszene des Tarkovsky-Films, in der ein Junge neben seiner Mutter zu sehen ist, zeigte Lippert die Werbung für ein Baugebiet in Freital bei Dresden von 2014. "Am Heimatblick. Sicherheit und Chancen" war da zu lesen und daneben ein Foto eines drahtigen Großvaters mit Enkel vor einem Kornfeld. Lippert verdeutlichte, dass mit dem positiv besetzten Heimat-Begriff zwar für eine Siedlung geworben werde, in der dort bereits bestehenden Eigenheim-Siedlung "Neue Heimat " aus der NS-Zeit aber eine "melancholische Grundstimmung" herrsche.

Freital sei während der Weimarer Republik eine SPD-Hochburg gewesen. Der Architekt Rudolf Bitzan habe 1924 im Stadtauftrag eine SPD-Musterstadt mit Palast des Volkes und Sozialeinrichtungen geplant, aber nur teilweise verwirklichen können. Während diese rote Utopie eines besseren Lebens für die Arbeiter unterging, hätten sich die Freitaler heute von der "eigenen Geschichte verabschiedet", sagte der Bau-Historiker. In der Tat: Die wütenden Proteste gegen ein Flüchtlingsheim 2015 weisen in die rechtsextreme Richtung.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort