Durch die Betonwelt des Krieges

Villey-le-Sec · Nach dem Krieg von 1870/71 versuchten Franzosen und Deutsche, die durch die Annexion des Elsass und Teile Lothringens entstandenen neuen Grenzen zu sichern. Auf beiden Seiten baute man gewaltige Festungen, die sich im Lauf der Geschichte als strategischer Unsinn erwiesen.

 Im lothringischen Villey-le-Sec wurde nach dem verlorenen Krieg von 1871 eine gewaltige Festung errichtet – im Bild der Eingang. Foto: Georg Bense

Im lothringischen Villey-le-Sec wurde nach dem verlorenen Krieg von 1871 eine gewaltige Festung errichtet – im Bild der Eingang. Foto: Georg Bense

Foto: Georg Bense

Unterwegs in Lothringen. Sanfte Hügel links und rechts. Fliehendes Geradeaus im Auf und Ab der Landstraße. Immer wieder Seitenwege und Abzweigungen zu Dörfern und Bauernhöfen. Streckenweise Einsamkeit. Oft eine morbide Idylle im Schatten von Kriegerdenkmälern, wo angerostete Helden Lorbeerkränze hochhalten. Darunter Namen unter Namen. Junge Männer mit verschiedenen Geburtstagen - und dem gleichen Todestag. Gefallen im Schlamm zerschossener Erde. Im Dunkel von Gräben und Unterständen.

"Europa hat meiner Ansicht nach irgendwo in diesen düsteren Tälern das Licht der Welt erblickt", schrieb Pierre Fritsch, ein Schriftsteller aus Joeuf, nahe Metz. Er sah Lothringen als geschundenes Grenzland, wo der Irrsinn des Krieges Menschen und Zeiten geprägt hat. Bröckelnde Zeugen. Festungen und Bunker unter und über der Erde.

Villey-le-Sec : Ein Dorf und eine Festung auf einem Hügel am rechten Moselufer, sieben Kilometer von Toul entfernt. Von weitem sind die Türme der berühmten Kathedrale St. Etienne zu sehen. Zeichen für Reichtum und Macht von Bistum und Stadt. Zum Schutz der Stadt und der östlichen Grenze wurde auf 40 000 Quadratmetern die Festung von Villey-le-Sec gebaut. Im annektierten Elsass ließ Wilhelm II. bei Mutzig zur selben Zeit eine ähnliche Festung bauen. Beide Seiten scheuten weder Mühen noch Kosten, ihren Kampfeswillen in Beton gießen zu lassen.

Nachdem der Krieg 1871 für Frankreich verloren war, machte man auch den schlechten Zustand der Festungen verantwortlich, die meist noch als mehrzackige Kampfsterne nach den Vorstellungen Vaubans gebaut waren. Ein neues Konzept von Raymond Séré de Rivières, Ingenieur und General, favorisierte die so genannte Eiserne Barriere ("Barrière de Fer"). Eine Festungskette, in der Forts und Zwischenwerke die Festungen entlasten sollten.

In Einzelfällen wurden, wie in Villey-le-Sec , ganze Ortschaften in die Verteidigungsanlagen integriert. Ab 1885 warteten 158 Forts mit 254 Geschützbatterien an der eisernen Barriere auf Angriff und Verteidigung. Doch Krieg und Frieden fanden außerhalb der Reichweite der Festungen statt. Als 20 Jahre nach dem Ersten ein Zweiter Weltkrieg seine Schrecken verbreitete, spielten die Betonklötze mit ihren Panzertürmen und Kanonen keine Rolle mehr. Der Krieg ließ sie links liegen.

Unsere Zeit hat sie für den Tourismus entdeckt. So auch Villey-le-Sec , wo sich ein Verein von Freiwilligen um das unterirdische Labyrinth von Gängen, Gewölben und Kasematten kümmert. Neben einem kleinen Museum werden Führungen und Rundfahrten mit einer kleinen Bahn durch die Betonwelt des Krieges angeboten. Eine Welt aus klammer Kälte in feuchtem Halbdunkel. Jeder Schritt und jedes gesprochene Wort hallt lauter als über der Erde.

Oben zeigen hügelige, mit Gras, Bäumen und Gestrüpp bewachsene Wälle die Ausmaße der Anlage, die ihr Innenleben hinter Panzertüren verbirgt. Auf dem Dorfplatz und den kurzen Straßen merkt man wenig von der Welt in der Tiefe. Alles scheint ruhig und friedlich. "Zugeschüttet und / Gras drüber wachsen lassen. / Unterm Gras / unterm Schutt / der Bunker ist da (…) bis zum nächsten Krieg?", fragt Alfred Gulden , der Schriftsteller von diesseits der Grenze.

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