Die Gruben-Schatztruhe

Petite-Rosselle · Fotografieren als Heimat-Erforschung: Die Ausstellung „Das ehemalige lothringische Steinkohlenrevier“ in Petite-Rosselle zeigt, wie wenig wir Saarländer über Industriekultur jenseits der Grenze wissen.

 Ein beeindruckender Gigant steht in Folschviller, 60 Meter hoch. Der „Rote Riese“, ein Hammerkopf-Förderturm. Foto: Sabine Hafner/Veranstalter

Ein beeindruckender Gigant steht in Folschviller, 60 Meter hoch. Der „Rote Riese“, ein Hammerkopf-Förderturm. Foto: Sabine Hafner/Veranstalter

Foto: Sabine Hafner/Veranstalter

Die Kohle kannte noch nie eine Grenze. Geologisch muss man das ostlothringische und saarländische Gruben-Revier zusammendenken. Politisch wurde die Kohle jedoch bereits zu Napoleons Zeiten zum Streitobjekt zwischen Deutschen und Franzosen. Es entwickelten sich unterschiedliche Besitz-und Verwaltungs-Systeme, andere Abbau- und Gewinnungstechniken (Flözverlauf) und Berufsausbildungen. Und obwohl mitunter bis zu 33 000 Saarländer hinter der Grenze auf Gruben arbeiteten, blieb der Kohleabbau des Nachbarn wie hinter einem eisernen Vorhang verborgen - mehr noch, er galt als vernachlässigbare Größe. Aber Bergbau, das war nun mal deutsche Ingenieurskunst und deutsche brummende Leitindustrie. Dieser Dünkel übertrug sich auf die Relikte der Bergbau-Ära. Davon erzählt Delf Slotta, Direktor des Instituts für Landeskunde im Saarland. Seit 15 Jahren organisiert er zusammen mit dem Studienleiter der Evangelischen Akademie im Saarland, Hans-H. Bendzulla, einen Industriekultur-Foto-Workshop, der als deutsch-französisches Heimatkunde-Projekt gelten darf. Der Workshop beginnt mit einer ganztägigen gemeinsamen Erkundungsfahrt und endet mit einer Fotoausstellung an wechselnden Orten. Neun Mal waren die Teilnehmer auf saarländischem Terrain unterwegs, fünf Mal auf lothringischem. Bei der letzten Tour im August 2016 waren 40 Saarländer dabei. 22 reichten dann Arbeiten für die Ausstellung ein.

Man war zwischen Stiring-Wendel, Creutzwald und Folschviller unterwegs. Slotta berichtet, der Exkursionstag sei begleitet gewesen vom permanenten Staunen über die Dichte und Eigenart der Bergbau-Zeugnisse, der am häufigsten gehörte Ausspruch: "Das hätten wir so nie erwartet". Die meisten hätten über sich selbst den Kopf geschüttelt, über ihre eigene Unkenntnis dieses reichen nahen Motiv-Schatzes. Slotta hält das für eine gute Lehrstunde: "Kommt runter von eurer Arroganz, dass nur im Saarland ein reiches Erbe steht."

Man stimmt ihm gerne zu, nach dem Besuch der am Freitagabend eröffneten Ausstellung "Das ehemalige lothringische Steinkohlerevier". Sie ist im Foyer des Bergarbeiter-Museums in Petite-Rosselle (Musée Les Mineurs) aufgebaut - an einem Ort, der immer noch für viele Saarländer keine feste Adresse ist. Sonst wären die Besucherzahlen - sie liegen bei rund 30 000 pro Jahr - höher. Dabei hat der Parc Explor, der das gesamte Areal der früheren Grube Wendel umfasst, für das Themenfeld Bergbau ein ähnliches Potenzial wie das Weltkulturerbe Völklinger Hütte für Eisen und Stahl. Zum dritten Mal ist Slotta mit seinem Workshop-Finale hier bereits zu Gast.

44 Fotos von 22 Teilnehmern haben die Juroren Slotta und Bendzulla ausgesucht. Kriterium war nicht der künstlerische Wert: "Wir sind nicht auf der Suche nach der fotografischen Blauen Mauritius", sagt Slotta, "Uns geht es um Basisarbeit, um ein Zusammenrücken der Region. Die Leute fangen Feuer und werden zu Multiplikatoren für Industriekultur." Das ist der Grund, warum die Fotografen zu dokumentarischer Arbeit angehalten werden, es findet sich nichts Experimentelles.

Aber genau deshalb funktioniert die Ausstellung wie eine erste Schnuppertour, die zu eigenen Erkundungen anregt. Denn klar will man hin, zum 60 Meter hohen "Roten Riesen" der Grube Folschviller, einem Hammerkopfturm, der sich hinter dem Camphausener Hammerkopfturm-Denkmal nicht zu verstecken braucht. Doch in Lothringen, sagt Slotta, stehen die wenigsten Industriekultur-Relikte unter Denkmalschutz. So könnte es bald zu spät werden für einen Besuch beim historischen Pferdestall der Grube St. Charles in Petite-Rosselle.

Bei Sabine Hafner gewinnt er die bedrohliche Magie einer Gruselfilm-Kulisse. Auf die Liste der bisher umbekannten Raritäten landet auch die Jugendstil-Architektur der Grube Saint Fontaine (St. Avold). Auch fand in Lothringen eine weitaus größere Verdichtung der Arbeiter in Siedlungen statt. An den Cités fährt man vorbei, ohne auszusteigen. Ein Fehler, insbesondere bei der Cité St. Charles-Haut an der Rue Huber in Petite-Rosselle. Deren Giebel-Reihung hat Jürgen Spies in einen reizvollen Bildausschnitt gebracht. Dem hingegen bietet der Warndtwald ganz natürliche überraschende Ansichten. Auf französischer Seite ragen die Fördertürme wie verlorene Zahnstocher aus dem grünen Teppich. Generell unterscheidet sich das Landschaftsbild stark. Halden kennen die Franzosen nicht, stattdessen entstanden durch Sandgruben Canyons. Der Blick in eine 160 Meter tiefe Schlucht von einem Belvedere bei L'Hopital hat sich zu einer kleinen Sensation entwickelt. Darauf warten andere Orte noch, man erfährt es durch die Fotografen.

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 Statt Rost mal Hellblau: Blick auf den Förderturm der Grube St. Charles in Petite-Rosselle. Foto: Udo Riplinger/Veranstalter

Statt Rost mal Hellblau: Blick auf den Förderturm der Grube St. Charles in Petite-Rosselle. Foto: Udo Riplinger/Veranstalter

Foto: Udo Riplinger/Veranstalter

"Das ehemalige lothringische Steinkohlerevier": bis 9. März, Di bis So, 9-18 Uhr, Musée Les Mineurs im Parc Explor Wendel in Petite Rosselle. Tel. (00 33) 3 87 87 08 54. Das Foyer ist ohne Eintritt zugänglich. Die Ausstellung des Museums empfiehlt sich als Ergänzung und ist auf Deutsch aufbereitet. Die Foto-Schau wurde als gemeinsames Projekt des Instituts für Landeskunde, der Evangelischen Akademie und des Parc Explor Wendel realisiert.

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