Die Furcht vor dem Lagerkoller in Lebach

Lebach · Auf 6000 Einwohner der Lebacher Kernstadt kommen inzwischen fast 4000 Flüchtlinge. Bürgermeister Klauspeter Brill sagt, man dürfe nichts schönreden. Die Stimmung sei – noch – ruhig. Auch die Landespolitik hat die Brisanz erkannt.

 In der Landesaufnahmestelle bilden sich teils lange Warteschlangen. Foto: Becker&Bredel

In der Landesaufnahmestelle bilden sich teils lange Warteschlangen. Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel

Blitzschnell kann die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen kippen, das zeigt der Sommer des Jahres 1990. Als innerhalb weniger Tage Hunderte Roma in die Landesaufnahmestelle nach Lebach kamen und die für 1400 Menschen ausgelegte Einrichtung plötzlich 2500 beherbergte, war der soziale Friede plötzlich in Gefahr. Die Lebacher fühlten sich belagert, das Wort vom "Zigeunerlager" machte die Runde. Einwohner klagten über unmögliche hygienische Zustände und Kriminalität, das Freibad wurde mit Stacheldraht gesichert, Fußstreifen patrouillierten durch die Stadt. Aus ganz Deutschland reisten Journalisten an, RTL sendete live. Erst als es für die Flüchtlinge statt Sozialhilfe Essenspakete und ein Taschengeld gab, entspannte sich die Situation schlagartig.

Heute leben in der Einrichtung nicht 2500 Menschen wie damals, sondern fast 4000, überwiegend Syrer. Landespolitiker räumen unumwunden ein, dass dies für die Lebacher Bevölkerung (Kernstadt: 6000 Einwohner) eine Belastung ist. Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU ) sagte jüngst, es sei "bewundernswert", wie die Lebacher mit dieser Belastung umgingen. Auch Rathaus-Chef Klauspeter Brill (parteilos) zollt seinen Bürgern ein "dickes Lob".

Um die Lebacher bei Laune zu halten, hat Innenminister Klaus Bouillon (CDU ) der Stadt außer der Reihe 1,5 Millionen Euro versprochen. "Wir wollen damit zeigen, dass wir nicht nur Geld investieren für die Asylanten, sondern dass auch die Einheimischen dadurch finanzielle Vorteile haben", sagt Bouillon .

In der Stadt herrscht Unsicherheit. Es gehe die Furcht um, dass es zu einer "Ghettoisierung von Lebach " kommen könne, sagt Brill. "Es ist momentan sehr ruhig, noch." Momentan sei das Wetter noch gut, die Leute könnten sich bis abends spät draußen bewegen. Doch nun gehe die dunkle, nasskalte Jahreszeit los. "Ein Lagerkoller wird früher oder später kommen", so Brill. "Wenn die Stimmung unter den Ausländern ins Kippen kommt, dann wird die Stimmung sich auch auf die Bevölkerung übertragen, dann wird es kritisch." Um einen Lagerkoller zu vermeiden, seien Aufenthaltsräume nötig. Bouillon lässt zwei neue riesige Zelthallen bauen, sie sollen auch als Freizeiträume dienen. Doch wenn der Zustrom so weitergeht, könnten sie irgendwann als Schlafplatz gebraucht werden.

Wird die Stimmung halten? Bouillon spricht von einem "Ritt auf der Rasierklinge". Es beginne bei den Kleinigkeiten: "Was meinen Sie, was im Sommer im Schwimmbad los war? Da meinen Sie nicht mehr, dass Sie in Lebach sind." Brill drückt sich etwas dezenter aus, aber in der Sache sind sich beide einig. Brill sagt, die fast 4000 Flüchtlinge bewegten sich natürlich auch in der Stadt, sie gingen einkaufen. Es gebe mittlerweile Lebacher, die in der Stadt nicht mehr in die Geschäfte gehen. "Die zumutbare Belastungsgrenze ist irgendwann erreicht, und da sind wir ganz dicht dran", sagt Brill. Man dürfe nicht alles schönreden. Es sei wichtig, dass man ernste und kritische Dinge auch offen anspreche. "Der Bevölkerung kann man kein X für ein U vormachen", sagt Brill.

Deshalb ist der Rathaus-Chef froh darüber, dass das Land auf einem früheren Bergwerksgelände wischen Dudweiler und Sulzbach eine zweite Massenunterkunft für Flüchtlinge einrichten will. Das sei ein gutes Zeichen. Es müsse erkennbar bleiben, dass das Land alles unternehme, um die Belastung für Lebach gering zu halten. Wenn ein anderer Eindruck entstehe, so Brill, "dann würde man hier auf die Barrikaden gehen".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort