Keine Angst vorm bösen Wolf

Kempfeld · Ein Fulltime-Job für die Tierpfleger: Rund um die Uhr werden Wolfswelpen im Wildfreigehege umsorgt. Der Wolfspark gehört zum kürzlich eingeweihten Nationalpark Hunsrück-Hochwald im Landkreis Birkenfeld.

 Das schmeckt auch kleinen Wölfen gut: Auf dem Speiseplan steht Hundewelpenmilch. Fotos: Reiner Drumm

Das schmeckt auch kleinen Wölfen gut: Auf dem Speiseplan steht Hundewelpenmilch. Fotos: Reiner Drumm

 Gabi Hefner ist eine der Tierpflegerinnen, die sich um die Wolfswelpen kümmern.

Gabi Hefner ist eine der Tierpflegerinnen, die sich um die Wolfswelpen kümmern.

Wölfe sind ihre große Leidenschaft: Die kann Luise Reis zurzeit voll ausleben. Die Tierpflegerin leitet das Team, das im Wildfreigehege an der Wildenburg sechs Wolfswelpen von Hand aufzieht. "Das ist toll, aber auch sehr anstrengend", sagt die 28-Jährige.

"Das war eine fürchterliche Nacht": Mit diesem Satz, den alle Eltern kennen, begrüßt sie uns vor der Hütte am Eingang zur Wolfslandschaft, die mit dem Nationalpark an Pfingsten eingeweiht wurde. Wie Menschenbabys müssen auch die Anfang Mai in zwei Tierparks in Thüringen und Bayern geborenen Wölfchen rund um die Uhr umsorgt werden. Immer zwei aus dem Team sind seit ihrer Ankunft Tag und Nacht bei ihnen.

Dem ordnen die gebürtigen Mainzerinnen Luise Reis und ihre Kollegin Gabi Hefner (36), die sich in der Berufsschule kennengelernt haben, alles andere unter: "Das Privatleben ist zurzeit gestrichen", sagen sie mit einem Lächeln. Unterstützt werden sie von vielen ehrenamtlichen Helfern und der Idar-Obersteiner Tierärztin Francesca Saxler. Die Tiere sollen sich an sie gewöhnen, damit sie ihnen später nahekommen darf, wenn sie wegen einer Verletzung oder Krankheit behandelt werden müssen.

Vermutlich war es der Vollmond, der das Welpen-Sextett die ganze Nacht über wachgehalten hat. Jetzt liegen alle friedlich schlummernd auf Matratzen in ihrer kleinen Kinderstube. Aber das ändert sich schnell. Spätestens der Hunger macht sie munter. Auf dem Speiseplan steht alle vier bis fünf Stunden leckere Hundewelpenmilch. In circa zwei Wochen gibt's dann zum ersten Mal püriertes Fleisch.

Die kleinen europäischen Wölfe sind schon ordentlich gewachsen. Mit gut einem Kilo kamen sie Pfingsten in Kempfeld an. Jetzt bringen sie schon etwa das Doppelte auf die Waage. Ausgewachsen sind es 30 bis 40 Kilo. Kraft und Krallen haben sie schon. Gabi Hefner zeigt auf Kratzspuren am Arm und eine dunkle Stelle am Hals: "Das ist definitiv kein Knutschfleck." In der etwas anderen WG lässt sich auch mal ein Strahl Wölfchen-Pippi mitten ins Gesicht nicht vermeiden. "Das gehört dazu."

Es geht nicht darum, das Leben in freier Wildbahn zu imitieren. "Unsere Aufgabe ist es, die Welpen optimal auf ihr Leben im Gehege vorzubereiten", betonen die Pflegerinnen. Die Jungen sind Nachkommen einer langen Linie von Gehegewölfen. Der Wolf ist ein Raubtier, aber extrem menschenscheu. Er hat im Lauf vieler Generationen gelernt: Menschen sind böse und gefährlich. Das vermittelt jede Wolfsmutter ihren Jungen. Deshalb wurden auch die Wildenburger Welpen noch vor der Hauptprägephase von ihr getrennt, um ihnen ein Leben in Angst und Stress zu ersparen. Luise Reis und Gabi Hefner tun alles dafür, dass sie den Menschen als Freund empfinden. So werden die Kleinen auch gezielt an Gerüche und Geräusche gewöhnt: Handyklingeltöne, Hundebellen und Gespräche. "Wir wollen Besuchern die Angst ,vorm bösen Wolf' nehmen und ihnen zeigen, dass er keine reißerische Bestie ist", unterstreichen beide.

Sie wollen bewusst nicht als Artgenossen wahrgenommen werden: "Ich bin nicht der Leitwolf. Wir gehören nicht zum Rudel, sondern sind nette Bekannte, die das Futter bringen", verdeutlich Luise Reis die Rollenverteilung. Die Rangordnung werden die Wölfe später allein unter sich ausmachen. "Wir greifen auch nicht ein, wenn sie sich jetzt schon prügeln." An der Wildenburg bleiben nur vier der Sechs: drei Wölfe und eine Wölfin. Zwei Weibchen würden für massive Unruhe sorgen - auch weil "Frauen gern mal zicken", wie Luise Reis augenzwinkernd anmerkt.

Die nächsten Wochen aber richtet sich das Leben in dem kleinen, durch Holzplatten abgetrennten Matratzenlager noch ganz nach den Bedürfnissen der Welpen. Sie werden zu nichts gezwungen, leben nach ihrem eigenen Rhythmus. Die Erziehung übernimmt später ein Verwandter: ein Wolfsmischling oder vielleicht auch Annie, die Hündin von Luise Reis .

Die Namen wird der Sponsor vergeben - vielleicht im Rahmen eines Wettbewerbs. Spitznamen aber haben die Wölfchen jetzt schon: Dazu gehören Streifenhörnchen und Theo. Auch einzelne Eigenschaften kristallisieren sich schon heraus. "Theo jammert gern. Er ist wohl eher ein kleines Weichei", meint Luise Reis . Es wird noch dauern, bis die Wölfe am Nationalparktor Wildenburg ihre ersten Schritte in die begrenzte Freiheit ihres 9400 Quadratmeter großen Geheges unternehmen. In etwa drei Monaten werden die Besucher der Anlage sie erstmals zu Gesicht bekommen. Ihr erstes Heulkonzert aber haben Theo und Co. immerhin schon gemeinsam gemeistert.

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