„Ich staune über die Prioritäten“

Seit einem Jahr ist der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) im Amt. Mit SZ-Redakteurin Ute Klockner sprach der Sozialdemokrat über Europa, die Zukunft der Großregion, Probleme mit der Bahn sowie fehlende Unterstützung durch die saarländische Landesregierung. Besonders sauer stößt ihm die Abwanderung der ADAC-Rallye ins Saarland auf.

 Nach Ansicht von Oberbürgermeister Wolfram Leibe erleben Bürger Europa noch nicht konkret genug. Das will der Rathauschef durch Initiativen ändern. Foto: Friedemann Vetter

Nach Ansicht von Oberbürgermeister Wolfram Leibe erleben Bürger Europa noch nicht konkret genug. Das will der Rathauschef durch Initiativen ändern. Foto: Friedemann Vetter

Foto: Friedemann Vetter

Herr Leibe, was kann Trier besser als Saarbrücken?

Leibe: Um Gottes Willen! Wir Trierer arbeiten sehr eng zusammen und sind sehr stolz auf unsere Stadt und das historische Erbe. Uns verbindet mit dem Saarland, dass wir auch manchmal mit unserer Kleinheit kokettieren.

Aber warum ist dann Trier seit 2005 um fast 9000 Bürger gewachsen, Saarbrücken aber nur um etwas über 1000 Einwohner?

Leibe: Trier hat jetzt 114 000 Einwohner und überzeugt als Gesamtpaket: eine attraktive Altstadt, viel Kultur, der öffentliche Nahverkehr und die gute medizinische Versorgung. Es sind neue Wohngebiete entstanden. Viele aus der Generation 60 plus ziehen aus der Region in die Stadt. Auch Pendler , die in Luxemburg, Straßburg oder Brüssel arbeiten, sind bewusst nach Trier gezogen. Uns hilft natürlich der internationale Flughafen in Luxemburg sehr.

Wo kann Trier vom Saarland lernen?

Leibe: Im Saarland gibt es ganz viele Fachleute, richtig gute "Trüffelschweine", die wissen, wo es EU-Fördergelder gibt. Hier können wir Kno-whow abfragen, was wir auch tun. Ein Beispiel dafür ist die Taskforce Grenzgänger, bei der das Saarland federführend ist. Hier will Trier operativer Partner werden. In unserer Stadtverwaltung soll es einen Ansprechpartner für Grenzpendler geben, der Teil dieser Taskforce ist. Täglich pendeln 8000 Trierer nach Luxemburg, doch die Probleme etwa im Sozialrecht sind europäisch noch nicht gelöst: Wer ist zuständig, wenn sich ein Grenzgänger bei einem Arbeitsunfall in Luxemburg verletzt?

Für Pendler ist die Verkehrsverbindung wichtig. Hier hakt es ja seit Jahren. . .

Leibe: Ja, wir sind bis heute stinkig, dass uns die Bahn die kalte Schulter zeigt und die Fernverbindung mit dem IC eingestellt hat. Wir haben dafür intensiv Fernbuslinien nach vorne getrieben. Das Problem mit den Staatsbahnen haben alle Quattropole-Städte (Trier, Saarbrücken, Metz und Luxemburg). In Saarbrücken wird die Verbindung nach Paris über die Südachse des TGV bedroht, in Luxemburg ist die Verbindung nach Brüssel nicht optimal, die auch für Metz wichtig ist. Da muss man jetzt kämpfen.

Was ist Ihr Plan?

Leibe: Wir wollen uns zu Lobbyisten weiterentwickeln und werden Ende des Jahres nach Brüssel fahren und schauen, wo es dort Geld gibt. Ich werde auch Präsenz in Berlin zeigen.

Ihr Vorgänger Klaus Jensen sagte bei Ihrer Vereidigung, es werde zu Ihren Herausforderungen gehören, "das große Projekt Europa", das sich "auf dünnem Eis" bewege, wieder zu festigen. Welche Anstrengungen unternehmen Sie?

Leibe: Ich glaube, dass wir hier in der Region eine besondere Verantwortung für Europa haben. Die Bürgerinnen und Bürger erleben Europa nicht konkret genug. Über die offenen Grenzen zu fahren, ist für viele selbstverständlich. Wir müssen also konkret zeigen, dass es einen Mehrwert gibt. Das tun wir etwa durch die gemeinsame Bewerbung mit Metz um Etappen der Tour de France. Aber wir lernen auch von Metz: Dort gibt es ein System zum elektronischen Bezahlen im öffentlichen Nahverkehr, das uns sehr interessiert. Oder die Zusammenarbeit im IT-Bereich. Hier wollen wir unsere Start-ups bei einem Businesslunch zusammenbringen. In Belgien haben wir uns über die Möglichkeit eines gemeinsamen, grenzüberschreitenden Energienetzes ausgetauscht. Die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, Luxemburg und unsere Region können auf Augenhöhe Dinge vereinbaren. Hervorragend klappt auch der Austausch mit der Stadt Saarbrücken. Allerdings fehlt uns die Unterstützung der saarländischen Landesregierung. . .

Inwiefern?

Leibe: Es wäre gut, wenn Trier zu den Spitzengesprächen im Saarland mit der Bahn eingeladen würde, da wir in der Region mitbetroffen sind. Es wäre daher hilfreich, wenn das Saarland hier ein offenes Ohr für die Anliegen der Quattropole hätte und auch mal mit uns über ihr überregionales Verkehrskonzept redet. Wir sind auch enttäuscht über das aktive Abwerben der ADAC-Rallye durch das Saarland. Das Saarland ist hier wie der reiche Onkel aufgetreten und hat offensichtlich einen großen Scheck auf den Tisch gelegt. Mit uns wurde nicht gesprochen. Ich hätte mir vorstellen können, dass wir uns die Rallye teilen. Der ADAC Mittelrhein hat vom ADAC 100 000 Euro mehr für die Ausrichtung der Rallye gefordert, weil die Sicherheitsauflagen gestiegen sind. Das war dem ADAC zu teuer. Offenbar kriegt er Sicherheit im Saarland billiger. Da drängt sich die Frage auf: Wird an der Sicherheit gespart? Gleichzeitig wird erheblich an der Saar-Uni gespart und sogar der Botanische Garten geschlossen. Ich staune darüber, wie im Saarland Prioritäten gesetzt werden!

Wird durch die neue französische Region Alca (Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne) die Großregion für den Bürger zu abstrakt?

Leibe: Die Gefahr besteht. Wenn jetzt aus Metz noch mehr Regionalstrukturen nach Straßburg gehen, haben wir ein Problem. Die Identifikation der Bürger mit einem Gebiet, das von den Ardennen bis zum Elsass reicht, wird leiden. Aber ein wirtschaftlich starkes Elsass stärkt auch die Großregion.

Was kann die Großregion von anderen Grenzregionen lernen?

Leibe: Vor acht Jahren haben die Region Aachen, die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens und die Niederlande ein Modell zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsabschlüssen vorgelegt. Daran orientiert sich die Großregion und hat eine Rahmenvereinbarung ausgearbeitet. Deutsche Pflegekräfte, die in Luxemburg arbeiten, müssen dort als Hilfspflegekräfte beschäftigt werden, weil ihr Abschluss nicht anerkannt wird. Das geht gar nicht!

Zum Thema:

Zur PersonWolfram Leibe (SPD , Jahrgang 1960) stammt aus der Nähe von Freiburg. Nach dem Jura-Studium arbeitete er zehn Jahre beim Landesarbeitsamt Baden-Württemberg. Seine Funktionen bei der Agentur für Arbeit führten ihn von 2002 bis 2012 als Geschäftsführer nach Pirmasens, Freiburg und Trier. Seit 1. April 2015 ist Leibe Oberbürgermeister von Trier. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. ukl

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort