Großes Chaos an den Grenzen

Brüssel · Neue Kontrollen sollten für mehr Sicherheit sorgen. Doch mehrere EU-Staaten haben sie schon wieder gestoppt.

Der Versuch der EU, am vergangenen Wochenende mit verschärften Grenzkontrollen für alle Bürger zu starten, endete in einem Desaster. Schon 24 Stunden nach Beginn stellten mehrere Mitgliedstaaten die Überwachung wieder ein. "Systematische Kontrolle aller Reisenden" - was diese neue Initiative der europäischen Staaten bedeutet, haben die ersten Oster-Urlauber bereits erleben müssen: Wer auch immer den Schengen-Raum verlässt, um beispielsweise nach Ägypten, in die Türkei oder nach Marokko in die Sonne zu fliegen, sah sich langen Schlangen an den Flughäfen und auf einigen Straßen gegenüber. Der Grund: Seit 7. April werden Ein- und Ausreisende schärfer geprüft, wenn sie die Europäische Union plus Norwegen und die Schweiz verlassen - alle, also auch Einwohner der EU.

Während die Grenzschützer bislang bei Unionsbürgern lediglich die Echtheit der Ausweise prüfte, werden die Personalpapiere seit dem Wochenende mit den Fahndungscomputern des Schengen-Informations-Systems (SIS) und mit einer weiteren Datenbank abgeglichen, in der die Sicherheitsbehörden gefälschte oder verlorene Dokumente erfassen. "Wir wollen und müssen exakt wissen, wer unsere Grenzen passiert", hatte der für Migrationsfragen zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos bei der Vorstellung des Projektes im vergangenen Dezember betont. Die Maßnahme gehört zu den Reaktionen auf die Terroranschläge von Paris, Brüssel und Nizza. Die deutsche Bundespolizei versprach noch am Tag vor dem Start der neuen Überwachungsmaßnahmen, man werde "alle Anstrengungen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Verpflichtungen unternehmen, Auswirkungen auf den Flugverkehr und Wartezeiten für die Reisenden so verträglich wie möglich zu halten." Das gelang wohl auch - zumindest an den deutschen Airports. Nicht aber auf den Ausreiserouten Richtung Balkan und Türkei. Nur 24 Stunden nach dem Start der neuen Kontrollen kam es am Samstag in Slowenien, Kroatien und Ungarn zu kilometerlangen Staus. Die Behörden sprachen von Wartezeiten bis zu vier Stunden. Bereits am Sonntag sowie am Montag setzten sie die Überprüfung der Urlauber wieder aus - "für unbestimmte Zeit", wie die beiden Regierungschefs von Slowenien, Miro Cerar, und Kroatien, Andrej Plenkovic, verabredeten.

Verschärft wurde die Situation offenbar noch durch Proteste von Zahnmedizinern in Zagreb. Das Wochenende vor Ostern nutzen viele Italiener gerne, um ins kroatische Nachbarland zu reisen und dort preisgünstig Zahnreparaturen durchführen zu lassen. Der Umsatz der Ärzte sei um die Hälfte zurückgegangen, berichteten Medien des Landes Anfang dieser Woche.

In Brüssel reagierte die EU-Kommission ratlos. Zwar lässt das neue Gesetz die einseitige Rücknahme der Grenzkontrollen zu. Allerdings ist das nur erlaubt, wenn die Sicherheitsbehörden eine aktuelle Risiko-Analyse vorlegen, die zeigt, dass keine zusätzliche Gefahr durch einreisende Gewalttäter oder Terroristen zu erwarten ist. Einen solchen Bericht konnten die Ämter der drei Mitgliedstaaten innerhalb weniger Tage natürlich nicht anfertigen, so dass man in der EU-Behörde nun wartet.

Zum Thema:

Saarländer haben freie Fahrt an der Grenze Das Saarland ist nicht von dem Grenzchaos betroffen, da es dabei nur um die EU-Außengrenzen geht. Aber auch an der Binnengrenze zu Frankreich gibt es im Saarland derzeit freie Fahrt. Die Kontrollen im Zuge der Terrorgefahr im Nachbarland endeten laut Bundespolizei im vergangenen Juli. Seither wurde nicht mehr offiziell kontrolliert.

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