Wie Europa fast an der Banane scheiterte

Brüssel · Vor 60 Jahren legten sechs Staaten mit den Römischen Verträgen den Grundstein für die heutige EU. Die Feier fällt in eine Krisen-Zeit.

 Es war eine „historische Stunde“ für Kanzler Konrad Adenauer (l.), als er am 25. März 1957 die Römischen Verträge unterzeichnete. Neben ihm: Staatssekretär Walter Hallstein und Italiens Premier Antonio Segni. Foto: fotomil/dpa

Es war eine „historische Stunde“ für Kanzler Konrad Adenauer (l.), als er am 25. März 1957 die Römischen Verträge unterzeichnete. Neben ihm: Staatssekretär Walter Hallstein und Italiens Premier Antonio Segni. Foto: fotomil/dpa

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Die Vorstellung, dass der große Plan von einem vereinigten Europa beinahe an der Banane gescheitert wäre, gehört zweifellos zu den wenigen Kuriositäten der Zeit, als vor 60 Jahren die Römischen Verträge entstanden. Zwar durften sich damals nur sechs und nicht 28 Länder Mitglieder dieser noch jungen Union nennen. Doch war das Vorhaben so umstritten wie heute. Und so notierte der spätere belgische Außenminister und Chef-Unterhändler der Römischen Verträge, Paul-Henri Spaak, in seinen Memoiren: "Man stritt um den Zoll für Bananen, ohne müde zu werden, über einen Unterschied von wenigen Prozent. Ich war mit meiner Geduld am Ende und erklärte, ich gäbe den Streitern zwei Stunden Zeit, sich zu einigen, widrigenfalls ich die Presse zusammenrufen und ihr mitteilen würde, es sei unmöglich, ein vereintes Europa zustande zu bringen, denn wir könnten uns nicht in der Bananenfrage einigen." Der Trick gelang.

Europa konnte am 25. März 1957 geboren werden. In einer feierlichen Zeremonie, von der der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer sagte, man erlebe hier das "vielleicht wichtigste Ereignis der Nachkriegszeit". Tatsächlich herrschte nichts als blanke Euphorie an diesem Morgen im Kapitol, dem Senatssaal in der italienischen Hauptstadt. Die Staats- und Regierungschefs sowie die Außenminister von Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Italien setzten ihre Unterschriften unter den Vertrag, mit dem sie neben der 1952 gegründeten Montanunion (für Kohle und Stahl) und der Atomgemeinschaft Euratom die dritte Säule ihrer Zusammenarbeit schufen. Wobei bis heute unklar ist, was die Herren damals eigentlich wirklich unterschrieben. Noch 2014 erzählte der damalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Anekdote, dass das Original der Römischen Verträge in der Nacht zuvor von Putzfrauen entsorgt worden sei. Der Text war nämlich in einem feuchten Keller gedruckt worden, also hatten fleißige Helfer die ausgedruckten Seiten im römischen Kapitol ausgebreitet, damit sie trocknen konnten. Als der Verlust auffiel, wurden alle möglichen Abfallkörbe durchwühlt. In der Not behalf man sich auf eine juristisch fragwürdige Weise: Die Staats- und Regierungschefs sowie die Außenamtschefs unterzeichnen nur eine Seite des Originals, die vermeintlichen Verträge waren tatsächlich leeres Papier. Erst später fügte man das Unterschriftenblatt und die erneut gedruckten Vertragsexemplare zusammen - rein rechtlich also Urkundenfälschung.

Doch selbst wenn die Chefs es gewusst hätten, wären sie wohl kaum auf den Gedanken gekommen, die "geschichtliche Stunde" (Adenauer) zu riskieren. "Diesmal haben die Männer des Westens genügend Kühnheit bewiesen und sie handelten auch nicht zu spät", sagte Spaak selbst bei einer Ansprache. Tatsächlich muss man sich in die Zeit zurückversetzen, um die aufkommende Erleichterung über die neue Gestalt Europas zu verstehen. Alle Spitzenpolitiker am Tisch kannten den Krieg, der erst zwölf Jahre zuvor beendet worden war. Viele Städte lagen noch in Trümmern. Fünf der sechs Länder, die da ihre künftige Zusammenarbeit, ihren Frieden und ihren Wohlstand versprachen und sichern wollten, waren zuvor von Deutschland besetzt gewesen. Und nun das: Die Idee einer Union, die miteinander Handel ohne Grenzen treiben wollte, um sich so gegenseitig als Lieferanten und Abnehmer aus dem Dunkel der Kriegszeit herauszuhelfen. Der Weg dahin blieb hart. Denn natürlich ging es nicht nur um die Banane. Vor allem Frankreich als damals größter Agrarstaat beanspruchte den Löwenanteil aus den Landwirtschaftsfonds dieser Union. Dagegen verteidigten die Deutschen die Unabhängigkeit des Sozialstaates und seiner Zuständigkeit für den Arbeitsmarkt. Länder, die noch nicht dem elitären Sechser-Kreis angehören, wurden über eine Zollunion angebunden. Und in ersten Grundzügen war bereits der Binnenmarkt angelegt. 60 Jahre später leidet diese Gemeinschaft unter Altersdepression. Ein Platz in Rom bleibt unbesetzt: Die britische Premierministerin Theresa May wird nicht kommen. Vier Tage später wird sie den Austritt ihres Landes aus der Union erklären und das Artikel-50-Verfahren auslösen. Die EU, die lange wuchs, schrumpft zum ersten Mal.

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So feiert die EU heute ihren Geburtstag Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU - ohne Großbritannien - kommen diesen Samstag zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge zu einem Sondergipfel in Rom zusammen. Auf dem Kapitolshügel wollen sie bei einem Festakt eine gemeinsame Erklärung unterzeichnen und einen Ausblick auf die Zukunft der EU geben - in demselben Saal, in dem die Verträge vor 60 Jahren besiegelt wurden. Auch sollen Reformideen für die EU nach dem Brexit diskutiert werden. Nach dem Attentat von London gilt erhöhte Sicherheitsbereitschaft: 5000 Polizisten sind im Einsatz, außerdem gilt ein Lkw- und ein Flug-Verbot. Rund 30 000 Demonstranten für oder gegen die EU werden erwartet.

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