Wie Europa gerechter werden soll

Brüssel · Die EU legt vage Vorschläge gegen die soziale Schieflage in der Gemeinschaft vor. Widerstand dagegen regt sich bereits.

Eigentlich ist Sozialpolitik nicht das Metier von Brüssel. Die Kompetenzen liegen in den Mitgliedsstaaten. Doch der Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, hat immer die soziale Lage im Blick gehabt. Seine Kommission will dazu beitragen, die in vielen Ländern Südeuropas herrschende Massenarbeitslosigkeit zu lindern. Seine Hoffnung ist, dass die Zustimmungswerte zur EU steigen, wenn sich etwas an der sozialen Schieflage ändert.

Dass es viel zu tun gibt, liegt auf der Hand: So lag Ende 2016 die Jugendarbeitslosigkeit im EU-Schnitt bei 18 Prozent (im Euro-Raum bei 20 Prozent). In Griechenland, Spanien, Italien betrug sie rund 40 Prozent, in Deutschland dagegen unter fünf Prozent. Nun hat die Kommission Vorschläge unterbreitet, wie sie sich den Aufbau einer "sozialen Säule" durch die EU vorstellt. Richtig konkret wird die Kommission lediglich im Bereich der Familienpolitik. Ein Punkt lässt aus deutscher Sicht aufhorchen. Die tschechische Kommissarin Vera Jourova schlägt vor, dass Arbeitnehmer bis zum 12. Lebensjahr ihres Kindes die Arbeitszeit flexibel gestalten können. Das heißt, sie sollen den gesetzlichen Anspruch bekommen, aus Teilzeit auch wieder auf Vollzeit zu gehen, wie dies etwa Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) im Bundestagswahlkampf vorschlägt.

Alle anderen Forderungen aus Brüssel für gesetzliche Veränderungen in der Familien- und Arbeitspolitik sind in Deutschland dagegen bereits weitgehend Standard. So sollen Vater und Mutter nach der Geburt eines Kindes mindestens zehn Tage zu Hause bleiben dürfen und dafür bezahlt werden. Eltern sollen zudem das Recht bekommen, jeweils bis zu vier Monate Elternzeit zu nehmen. Wohl gemerkt: Dies sind lediglich Vorschläge der EU-Kommission für eine Gesetzgebung. EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen räumt bereits ein: "Ich mache mir keine Illusionen über die Reaktion in den Mitgliedsländern." Einige werden sagen, "das ist viel zu viel, andere werden sagen, das ist viel zu wenig".

Vor allem osteuropäische Länder wie Rumänien und Bulgarien sehen niedrigere Sozialstandards und damit verbundene niedrigere Lohnkosten als Standortvorteil, den sie nicht aufgeben wollen. Von ihnen ist mit Widerstand zu rechnen, wenn die Gesetzgebungsvorschläge im Rat, also dem Gremium der Mitgliedsstaaten, auf die Tagesordnung kommen. Auch das Parlament, die dritte in die Gesetzgebung eingebundene EU-Institution, signalisiert bereits Widerstand. Sozialexpertin Jutta Steinruck (SPD) zeigt sich enttäuscht: "Neue Gesetze, die das Leben der Menschen in Europa spürbar verbessern würden, sucht man vergebens. Europa braucht aber mehr als einen Sozialknigge." Steinruck vermisst etwa Kriterien für "menschenwürdige Arbeitsbedingungen" durch die EU. "Diese würden Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen grundlegende Arbeitsrechte und sozialen Schutz garantieren."

Neben den Vorschlägen für eine bessere Vereinbarung von Beruf und Familie hat die Kommission 20 Grundsätze aufgestellt, die in der Sozialpolitik der Mitgliedsländer gelten sollen. Darunter etwa, dass Frauen und Männer grundsätzlich den gleichen Lohn bekommen sollen. Oder: Kinder sollen das verbriefte Recht auf frühkindliche Bildung und Betreuung bekommen.

Allerdings will die EU-Kommission die Grundsätze zunächst nur in der Euro-Zone festschreiben. Steinruck kritisiert dies: "Wir können uns bei der derzeitigen Verfassung Europas nicht leisten, eine unnötige Spaltung der EU herbeizuführen." Die soziale Säule müsse allgemeinverbindliche EU-Standards schaffen.

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Europaabgeordneter Jo Leinen kritisiert Sozialpaket Der saarländische Europaabgeordnete Jo Leinen (SPD) hat das geplante Sozial-Paket der EU-Kommission kritisiert. "Die Kommission hat eine soziale Säule versprochen. Geliefert hat sie nicht viel mehr als unverbindliche Empfehlungen", sagte Leinen. Der Vorschlag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehe in die richtige Richtung. Insgesamt enttäusche das Paket jedoch. Die EU müsse für faire Arbeitsbedingungen einstehen. Dafür sei unter anderem ein von der Wirtschaftsleistung des jeweiligen Mitgliedstaats abhängiger Mindestlohn nötig, forderte Leinen.

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