Schulz im Visier der Wirtschaft

Berlin · Die Korrektur-Pläne des SPD-Kanzlerkandidaten bei der Agenda 2010 stoßen auf geteiltes Echo. Vor allem Experten sehen den Vorstoß kritisch.

Die eigenen Reihen applaudieren, Experten sind skeptisch, und die Wirtschaft schäumt - mit seinen Plänen zur Korrektur der Agenda 2010 stößt Martin Schulz auf ein geteiltes Echo im Land. "Martin Schulz hat mit seinem Kurs unsere volle Unterstützung. Er macht klar: Die SPD steht für Gerechtigkeit und Zusammenhalt", lobte Bundesjustizminister Heiko Maas im Gespräch mit unserer Redaktion den designierten Kanzlerkandidaten seiner Partei. Schulz hatte sich am Montag auf einer Parteiveranstaltung in Bielefeld für Nachbesserungen am Reformprogramm "Agenda 2010" stark gemacht, das unter dem früheren SPD-Kanzler Gerhard Schröder beschlossen worden war und vielen Genossen bis heute als Auslöser des Niedergangs ihrer Partei gilt.

Ein Schwerpunkt der Reformen war die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Schulz nun zum Teil rückgängig machen will. Auf seiner Agenda steht dabei insbesondere die Wiedereinführung einer längeren Bezugsdauer des Arbeitslosgeldes. Schulz hatte dies mit der Furcht älterer Arbeitnehmer vor dem raschen Absturz in Hartz IV begründet. Maas sieht das ganz genauso: Heute habe Deutschland die höchste Beschäftigung seit der Wiedervereinigung. "Da gilt: Wir müssen in der Arbeitsmarktpolitik nicht alles anders, aber einiges gerechter machen." Wer jahrzehntelang hart arbeite und Beiträge gezahlt habe, "den dürfen wir nicht bereits nach wenigen Monaten allein lassen", erklärte Maas. Ähnlich klang es gestern beim konservativen SPD-Flügel "Seeheimer Kreis" und bei den Gewerkschaften.

Mit der Agenda 2010 war der maximale Anspruch auf Arbeitslosengeld für Ältere von 32 auf 18 Monate verkürzt worden. Schon im Jahr 2008 kam es aber zu Korrekturen. Damals verlängerte die erste große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Bezugsdauer auf bis zu zwei Jahre. Dies gilt bis heute. Und nach Auffassung der Wirtschaft muss es dabei auch bleiben. Eine Verlängerung des Arbeitslosengeld-I-Bezugs würde "eine schnelle Wiederaufnahme von Arbeit erschweren", hieß es bei der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Wer die Agenda 2010 zurückdrehen wolle, gefährde den Reform-Erfolg. Noch nie zuvor hätten so viele Menschen Arbeit gehabt, viele davon in unbefristeter Vollzeitbeschäftigung, so die BDA.

Kritik an Schulz' Plänen kam auch vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. "Untersuchungen zeigen, dass, wer mit einer längeren Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld rechnen kann, de facto auch länger arbeitslos ist", sagte IAB-Chef Joachim Möller unserer Redaktion. Je länger die Arbeitslosigkeit dauere, desto mehr erodiere die berufliche Qualifikation der Betroffenen. "Und damit wird es auch immer schwerer, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen", erläuterte Möller.

Der Arbeitsmarktexperte empfahl stattdessen, sich bei Jobverlust auf eine schnelle Wiedereingliederung der Betroffenen zu konzentrieren. "Eine Möglichkeit wäre, die sogenannte Entgeltsicherung wieder einzuführen." Diese Maßnahme, die laut Möller bereits unter der früheren Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) abgeschafft worden war, zielte darauf ab, dass arbeitslose Ältere auch eine schlechter bezahlte Stelle annehmen. Dazu wurde die Differenz zum vormaligen Lohn für einen begrenzten Zeitraum von der Bundesagentur für Arbeit bezahlt.

Zugleich wandte sich Möller gegen eine pauschale Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen, wie sie Schulz ebenfalls gefordert hatte. Das sei auch ein Instrument zur Flexibilität am Arbeitsmarkt.

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