Nach Nummer 2 ist meistens Schluss

Wiesbaden · Die Talsohle scheint durchschritten. Erstmals seit langer Zeit steigt die Geburtenrate in Deutschland wieder – auf 1,5 Kinder je Frau. Für das Jahrzehnte andauernde Geburtentief machen Forscher vor allem den Rückgang kinderreicher Familien verantwortlich.

 Dieser kleine Fratz freut sich auf seinen Bruder oder seine Schwester. Mehr als zwei Kinder sind in Deutschland die Ausnahme. Foto: Fotolia

Dieser kleine Fratz freut sich auf seinen Bruder oder seine Schwester. Mehr als zwei Kinder sind in Deutschland die Ausnahme. Foto: Fotolia

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Kinder kriegen die Leute von alleine, soll Konrad Adenauer gesagt haben. Eine Grundüberzeugung, die noch aus Zeiten stammt, da Eltern im eigenen Nachwuchs auch ihr ganz persönliches Auskommen im Alter sahen. Das hat sich aus vielerlei Gründen geändert. Der allgemeine Wohlstand ist enorm gestiegen. Genauso wie der Drang nach Individualität und Selbstverwirklichung. Kinder blieben dabei zunehmend auf der Strecke. Deutschland zählt weltweit zu den Schlusslichtern bei der Geburtenrate .

Doch es gibt positive Nachrichten. Die Geburtenrate ist so hoch wie seit über 30 Jahren nicht mehr. "Wir haben eine Trendwende bei den Geburtenzahlen", sagt Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Verantwortlich für den Zuwachs sind allerdings vor allem Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Bei ihnen stieg die Geburtenrate deutlich von 1,86 auf 1,95 Kinder je Frau. Bei den deutschen Frauen nahm sie nur geringfügig von 1,42 auf 1,43 zu.

Allerdings: Selbst die durchschnittlich 1,50 Kinder pro Frau, die laut Statistischem Bundesamt 2015 erreicht wurden, reichen nicht, um das Schrumpfen der Bevölkerung aufzuhalten. Dafür wären rechnerisch 2,1 Kinder erforderlich. "Im Vergleich zu Frankreich, Schweden oder den USA fehlt uns oft das dritte Kind", sagt Bujard. Wissenschaftlich umstritten ist dabei die Frage, ob vor allem ein hoher Anteil kinderloser Frauen oder der Rückgang kinderreicher Familien wesentlich zur niedrigen Geburtenrate beitragen. In einer jüngst erschienenen Studie, die die Geburtenzahlen seit dem Zweiten Weltkrieg analysiert, hat Bujard eine klare Antwort gegeben: "Kinderlose sind für knapp 26 Prozent des Geburtenrückgangs verantwortlich." 68 Prozent seien damit zu erklären, dass größere Familien mit drei oder mehr Kindern immer seltener geworden seien.

Bujard sieht darin ein Problem der kulturellen Normen: In kaum einem Land gebe es so große Vorbehalte gegenüber Kinderreichtum wie in Deutschland. Der Wissenschaftler verweist auf eine Umfrage unter jungen Menschen, nach der 72 Prozent der Aussage zustimmten, dass kinderreiche Familien als asozial gälten. "Dabei sagten in derselben Umfrage nur acht Prozent von 5000 Teilnehmern, dass sie persönlich so über Kinderreiche denken." Die tatsächliche Anerkennung für Eltern von vielen Kindern sei also gerade in der jungen Generation hoch.

Der Bevölkerungsforscher bescheinigt den Deutschen ein besonders perfektionistisches Streben, eine Zwei-Kind-Norm zu erfüllen. Das schlage sich sogar in staatlichen Dokumenten nieder: Im Mutterpass beim Frauenarzt sei Platz für genau zwei Schwangerschaften. "Ich fürchte, unser Ideal von der Familie mit zwei Kindern ist den meisten Menschen überhaupt nicht bewusst", folgert Bujard. Die Politik könne das nur schwer ändern. Gefragt sei ein Bewusstseinswandel.

Den hat Harald Rost vom Staatsinstitut für Familienforschung an der Uni Bamberg bei den Vätern schon ausgemacht: Viele wollen sich intensiv um ihre Kinder kümmern. "Das wird von den Frauen mittlerweile auch erwartet." Dazu komme ein Schneeballeffekt: Wenn Männer sähen, dass andere Männer Elternzeit nähmen, wirke das als Vorbild. Eine andere Motivation: "Ihr eigener Vater hatte nie Zeit für sie. Das wollen sie anders machen." Sebastian Klüsener vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung plädiert insgesamt für "eine Willkommenskultur für Kinder". Zumindest zwei und nicht nur die statistisch errechneten 1,5 Kinder wollten viele Menschen in Deutschland: "Es besteht eine Lücke zwischen der angestrebten und der erreichten Zahl."

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