25 Kilometer vor Metz ist Endstation

Vitry-sur-Orne · In Frankreich hat die Flüchtlingsproblematik eine andere Dimension als in Deutschland. Doch auch dort gilt: Wer abgelehnt wird, muss gehen. Wir waren zu Besuch in einem Asylbewerberheim bei Metz.

 Wie die Familie Zenicanin wartet auch das Ehepaar Deda in Vitry-sur-Orne auf seine Abschiebung. Foto: RL

Wie die Familie Zenicanin wartet auch das Ehepaar Deda in Vitry-sur-Orne auf seine Abschiebung. Foto: RL

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In der Gemeinschaftsküche im fünften Stock ist es ganz still. Und es soll auch so bleiben. "Das Baby schläft", sagt Selma Zenicanin und bittet mit einem Finger auf den Lippen, leise zu sein. Dann starrt sie weiter zum Fenster hinaus. Die Küche und die Zimmer sind ordentlich und sauber, aber unpersönlich. Denn genau darum geht es in diesem Heim für abgelehnte Asylbewerber in Vitry-sur-Orne (25 Kilometer von Metz entfernt). Es ist ein Provisorium. Die rund 40 Menschen, die hier leben, sollen sich bloß nicht daran gewöhnen oder gar heimisch fühlen, denn in spätestens 90 Tagen werden sie Frankreich verlassen. Früher in der goldenen Ära der Stahlindustrie war das hier ein Arbeiterwohnheim. Vor knapp einem Jahr wurde das Heim für ein Pilotprojekt umfunktioniert, und es entstand das erste "Zentrum zur Rückkehrvorbereitung" Frankreichs. Die abgelehnten Asylbewerber , die hier leben, sind durch alle Berufungsinstanzen gezogen und mit ihrem Antrag gescheitert. Ihnen wurde eine Ausweisungsverfügung zugestellt.

So erging es auch Selma Zenicanin. In ihrer Hand hält sie einen Brief aus Straßburg. Bis zum Europäischen Gerichtshof haben sie und ihr Mann ihren Asylantrag gebracht. Jedes Mal haben sie eine Ablehnung kassiert. Jetzt haben sie sich für eine freiwillige Rückkehr nach Montenegro entschieden. Wann es genau losgeht, weiß sie noch nicht. Es ist für sie nicht einfach loszulassen. "Wir leben seit zwei Jahren in Frankreich, wir haben immer daran geglaubt, dass wir eine Chance bekommen, dass wir hier arbeiten und Geld verdienen können", erklärt die junge Frau mit den kurzen schwarzen Haaren im gebrochenen Französisch. Sie ist Montenegrinerin, ihr Mann ist Bosnier. In Montenegro werde er diskriminiert und habe er so gut wie keine Chance, eine Stelle zu bekommen. Einerseits ist Selma Zenicanin traurig, weil ihr Traum vom Leben in Frankreich geplatzt ist. Andererseits ist sie verbittert: "Manche bekommen hier Asyl und machen nichts. Wenn man einfach nur ganz normal arbeiten will, hat man keine Chance." Da ihre Familie Frankreich verlassen muss, sei die Begleitung durch das Immigrationsamt (OFII) das kleinere Übel.

"Wer sich für die freiwillige Rückkehr entscheidet, wird von uns individuell unterstützt", erklärt Sandrine Panier vom OFII. "Man bereitet mit den Familien den Abschied aus Frankreich vor, von der Schule für die Kinder, von dem Bekanntenkreis für die Eltern. Man hilft ihnen, Sachen zu verkaufen, die sie beim Heimflug nicht mitnehmen können wie zum Beispiel ein Auto." Außerdem werden Kontakte ins Heimatland aufgenommen, mit Verwandten, und man findet ein Datum für den Rückflug, sodass die Rückkehrer am Zielflughafen abgeholt werden. "Es ist ein Prozess, der auf Freiwilligkeit basiert und an dem die Betroffenen aktiv beteiligt sind", so Panier. Also keine Nacht-und-Nebel-Aktionen, wie man sie von der Abschiebehaft kennt.

Darüber hinaus werde mit den Familien der Weg für den Neustart im Heimatland geebnet. In welcher Stadt werden sie wohnen, haben sie dort Verwandten, bei denen sie die ersten Tage unterkommen können, ist es möglich von hier aus einen Mietvertrag für eine Wohnung zu unterschreiben, welche Schule werden die Kinder besuchen und stehen den Eltern im Heimatland staatliche Leistungen zu, wenn ja, wo sollen sie diese beantragen? Bis zur Ausreise sollen diese Fragen weitgehend geklärt werden. "Dann besorgen wir die Reisedokumente - manche hier geborenen Kinder haben gar keine gültigen Pässe - und die Flugtickets. Am Ausreisetag werden sie durch OFII-Mitarbeiter zum Flughafen begleitet, dort wird den Familien ein Startgeld für den Neuanfang in der Heimat ausgehändigt", erklärt Panier weiter. Je nach Land kann dieses zwischen 300 und 650 Euro pro Person betragen. "Dieses Geld bedeutet, dass sie bei ihrer Rückkehr nicht sofort auf Hilfe von Angehörigen angewiesen sein werden. Sie können mit erhobenem Haupt nach Hause fahren", sagt Panier. Die Hilfe zur freiwilligen Rückkehr gibt es nur ein Mal, wer sie in Anspruch nimmt, muss seine Fingerabdrücke hinterlassen. Sollte er sich noch mal illegal in Frankreich aufhalten, wird er verhaftet und von der Polizei zu einem Flugzeug eskortiert.

Mit manchen Ländern, in denen das OFII mit Vertrauenspartnern vor Ort arbeitet wie etwa im Kosovo oder in Armenien, geht die Rückkehrbegleitung noch ein Stück weiter. In manchen Fällen wird direkt ein Job vermittelt oder ein Ausbildungsplatz gesichert. Bei erfolgreicher Vermittlung in ein Aus- oder Weiterbildungsverhältnis kann das OFII bis zu 1000 Euro der anfallenden Kosten übernehmen. Will sich der Rückkehrer mit einer präzisen und umsetzbaren Geschäftsidee selbstständig machen, kann er auch dafür Hilfe in Anspruch nehmen. Im Heimatland wird er dann von der Partnerinstitution für eine Dauer von sechs bis zwölf Monaten weiter begleitet.

Doch als Chance sehen das zuerst die wenigsten, die nach Vitry kommen. Im Heim leben vor allem Familien aus den Balkanländern. Die Bearbeitung ihres Asylantrags durch die verschiedenen Instanzen hat manchmal jahrelang gedauert. "Hier zu sein heißt, dass sie am Ende des Weges angekommen sind und das wollen viele nicht akzeptieren", weiß Marianne Bourguignon von Adoma, der staatlichen Gesellschaft, die in Vitry die Aufsicht hat. "Viele denken, wenn sie ganz stark daran glauben, passiert doch noch ein Wunder." Damit sie sich der Situation stellen, werden sie unter der Woche von Sozialarbeitern betreut. Denn am Ende bleibt die Gewissheit: Gehen müssen sie so oder so - freiwillig oder gezwungen. Doch die Präfektur, die als Vertreterin des Innenministeriums im Département das Modellprojekt in Vitry gestartet hat, weiß: Diejenigen, die unvorbereitet und unter Zwang nach Hause geschickt werden, kommen meistens wieder. Seit Eröffnung des Zentrums haben sich rund 120 Menschen dort aufgehalten. 73 Prozent von ihnen haben sich für die freiwillige Rückkehr entschieden. Von ihnen sei bisher kein einziger wieder in Frankreich aufgetaucht, teilt die Präfektur mit. Fünf Prozent der Bewohner haben sich bis zum Ende der 45-Tage-Frist (die einmal verlängert werden kann) gegen die Ausreise gewehrt und wurden von der Polizei abgeholt. In ein paar Wochen wird die Präfektur die Ergebnisse in Paris vorstellen. Dort wird dann entschieden, ob weitere Zentren dieser Art entstehen sollen.

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