Traumberuf auf dem Abstellgleis

Saarbrücken/Stuttgart · Die Bahn kommt nicht, weil der Lokführer krank ist: Solche Ansagen nerven Reisende inzwischen regelmäßig. Einfach mehr Fahrer einstellen geht nicht, denn es mangelt an Nachwuchs. Das ist auch im Saarland spürbar. Wie kann man den einstigen Traumberuf wieder attraktiver machen? Oder war es das?

 Bahnfahren im Wandel der Zeit: Früher mussten Lokführer und Heizer ran, um einen Zug zu bewegen. Künftig können selbst ICEs autonom fahren. Fotos: Huber/laifWoitas/dpa

Bahnfahren im Wandel der Zeit: Früher mussten Lokführer und Heizer ran, um einen Zug zu bewegen. Künftig können selbst ICEs autonom fahren. Fotos: Huber/laifWoitas/dpa

Wenn es um seinen einstigen Traumberuf geht, redet sich Christian Wrublewsky schnell in Rage. "Mitten in der Nacht aufstehen, mitten in der Nacht heimkommen, am Wochenende arbeiten, an Weihnachten, Ostern, Silvester. Viel Verantwortung, wenig Geld: Ich kann verstehen, dass junge Leute heute nicht mehr Lokführer werden wollen." Wrublewsky ist seit 26 Jahren Lokführer , so wenig Freude hatte er selten. Sein Beruf sei immer mehr abgewertet worden, klagt Wrublewsky, der auch Vorsitzender der GDL-Ortsgruppe Saarbrücken ist. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer sagt, dass bundesweit 1000 Lokführer fehlen. "Seit Jahren ist auf Teufel komm raus am Personal gespart und nicht ausgebildet worden", moniert die GDL-Bundesspitze. Die Folge: Kollegen sind überlastet, werden krank, fallen aus.

Das spüren immer mehr Reisende . Gerade für Pendler quer durch Deutschland ist es ein großes Ärgernis, wenn Züge kurzfristig ausfallen oder Fahrpläne wochenlang zusammengestrichen werden. Im Moment betroffen sind Strecken nach Bremen, Hamburg und Stuttgart sowie Verbindungen in Westfalen. Im Saarland ist die Lage bislang noch besser. Dem Verkehrsministerium sind in jüngster Zeit keine "unabsehbaren Betriebsstörungen" bei der Deutschen Bahn oder der Privatbahn Vlexx bekannt geworden. Nach Darstellung von GDL-Mann Wrublewsky falle schon mal ein Zug aus, aber die Situation sei lange nicht so extrem wie in Ballungsgebieten: "Wir gehen im Saarland auch ziemlich auf dem Zahnfleisch, aber es hält sich noch in Grenzen." Thomas Beltz aus dem Landesvorstand der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft (EVG) schätzt die Lage an der Saar ebenfalls "etwas entspannter" ein. Auch weil Lokführer auf Ruhetage und Urlaub verzichten: "Sobald Kollegen im Urlaub sind und es Krankheitsfälle gibt, gibt es Engpässe. Denn es sind keine Reserven mehr vorhanden."

Mangelware Nachwuchs: Für Beltz spielen eine Reihe von Gründen eine Rolle. Klar, die Wechselschicht mit Wochenendarbeit, die Bezahlung von anfänglich rund 2600 Euro brutto, die verloren gegangene Vielfalt des Berufs, der Trend zum Studium, der Fachkräftemangel insgesamt. Dazu kämen häufiger werdende Beschimpfungen und Übergriffe von Reisenden sowie das ewige Horrorszenario Selbstmord. Auf ein bis zwei Suizide müsse sich ein Lokführer im Laufe seines Berufslebens einstellen, sagt Beltz: "Viele Kollegen hatten und haben damit zu kämpfen." Christian Wrublewsky nennt ähnliche Gründe, warum sein Traumberuf mehr und mehr zum Albtraum wird. Seinem Sohn hat er klar gesagt: "Wenn du auf die Idee kommst, Lokführer zu werden, trete ich dir in den Allerwertesten!"

Was kann getan werden, um wieder mehr Menschen für den Beruf zu begeistern? In den laufenden Tarifverhandlungen mit der Bahn sind für die Gewerkschaften die Arbeitszeiten der Knackpunkt. Die akuten Probleme löst das aber nicht. Baden-Württemberg und Niedersachsen ziehen daher die Notbremse. Der Stuttgarter Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat verfügt, dass ab sofort die Bahn-Verantwortlichen wöchentlich zum Rapport einbestellt werden. Denn es fallen gerade im Berufsverkehr häufig Züge aus, ähnliche Probleme gab es im Sommer. Der Fahrgastbeirat des Landes monierte in einem Schreiben an die Bahn, dass die "massiven Störungen" für starken Frust sorgen - und sich mehr und mehr Reisende von der Bahn abwenden.

Niedersachsen will es sich auch nicht länger bieten lassen, dass es wegen Personalproblemen vor allem bei den Bahnkonkurrenten Nordwestbahn und Metronom so viele Ausfälle gibt. Neben Kürzungen in Millionenhöhe, die die Bahnen wegen nicht gefahrener Züge erwarten, soll ihnen das Vorhalten von mehr Personal womöglich künftig vorgeschrieben werden. "Wir stellen uns die Frage, ob wir bei künftigen Ausschreibungen eine großzügigere Personalreserve zum Gegenstand machen", heißt es in Hannover.

Aber werden auf längere Sicht überhaupt noch Lokführer gebraucht? Schädlich für die Nachwuchssuche war und ist laut GDL die Ankündigung von Bahnchef Rüdiger Grube , bald führerlose Züge auf die Schienen zu schicken. GDL-Chef Claus Weselsky sieht darin die eigentliche Ursache für die Lokführer-Flaute. Die Debatte habe dem Ansehen des Berufs sehr geschadet. Dass Züge in den nächsten 20 Jahren autonom fahren, sei "nicht realistisch".

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Hintergrund Fernzüge ohne Lokführer sind in Deutschland noch Zukunftsmusik. Doch weltweit gibt es immer mehr automatisierten Schienenverkehr , vor allem U-Bahnen. Zahlen und Fakten nach Angaben des Internationalen Verbandes für öffentlichen Verkehr UITP: Fast ein Viertel der U-Bahn-Systeme weltweit haben zumindest eine automatisch betriebene Linie - die meisten davon in Europa und Asien. Frankreich liegt beim autonomen Schienenverkehr weltweit an der Spitze. Es folgen Südkorea und die Vereinigten Arabischen Emirate. Mit 80 Kilometern hat Dubai das längste automatische Schienennetz der Welt - vor Vancouver mit 68 und Singapur mit 65 Kilometern. Am Frankfurter Flughafen ging 1994 die fahrerlose SkyLine-Bahn in Betrieb. Auf der etwa zwei Kilometer langen Strecke sind bis zu sieben Züge auf Gummireifen parallel im Einsatz. Sie befördern rund 25 000 Menschen täglich. Im Juni 2008 startete in Nürnberg Deutschlands erste fahrerlose U-Bahn. dpa

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