Lafontaines letzte Mission

Saarbrücken · Ein letztes Mal wird Oskar Lafontaine am 26. März 2017 voraussichtlich noch für den saarländischen Landtag kandidieren. Ohne Politik hält er es vermutlich kaum aus. Weggefährten glauben, dass er am Ende seiner mehr als 40-jährigen politischen Karriere noch ein Ziel erreichen will: eine linke Regierung im Saarland.

Was soll er denn sonst machen? Wer versucht zu ergründen, warum Oskar Lafontaine im März 2017 mit 73 Jahren aller Voraussicht nach noch einmal für den Landtag kandidieren wird, bekommt mit ziemlicher Sicherheit diese Frage zu hören. Es wird auch gemutmaßt, dass Lafontaine die Annehmlichkeiten eines Fraktionschefs, nämlich einen vom Steuerzahler finanzierten Büroleiter und einen Chauffeur, weiter in Anspruch nehmen wolle. Und seine Frau Sahra Wagenknecht sei doch die ganze Woche über in Berlin, da müsse er sich die Zeit doch irgendwie vertreiben.

All das mag nicht ganz falsch sein, aber es ist bestenfalls ein Teil der Erklärung. Reinhard Klimmt , der unter dem Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine (1985-1998) als SPD-Fraktionschef diente und 1998/99 kurzzeitig selbst Ministerpräsident war, sagt: "Er ist ein homo politicus, ein durch und durch politischer Mensch, der nie aufhören wird, politisch zu denken und zu agieren. Deshalb wird er die Möglichkeiten, im Spiel zu bleiben und Einfluss zu nehmen, auch nutzen. Ich glaube, so einfach zu Hause zu sitzen, das füllt ihn nicht aus."

Es gibt einen weiteren Erklärungsansatz, der in die Vergangenheit weist. Klimmt, der hin und wieder noch Kontakt zu Lafontaine hat, sagt: "Er will vielleicht irgendwann doch noch die Scharte von 1999 auswetzen." Lafontaine hatte mit seinem plötzlichen Rücktritt vom Amt des Bundesfinanzministers und des SPD-Bundesvorsitzenden am 11. März 1999 die Partei traumatisiert. Dass Klimmt ein paar Monate später, am 5. September 1999, den ursprünglich sicher geglaubten Wahlsieg verpasste und die SPD nach 14 Jahren die Macht an die CDU verlor, war auch Lafontaines Schuld. Besonders muss ihn geschmerzt haben, dass dadurch ausgerechnet Peter Müller Ministerpräsident wurde. "Die hassen sich", sagte ein früheres Mitglied in Lafontaines Kabinett zum Verhältnis der beiden Alphatiere.

Was Lafontaine bei seiner letzten Landtagskandidatur erreichen könnte, hätte ein landesgeschichtliches Ausmaß: Er könnte mit dafür sorgen, dass die CDU nach 18 Jahren wieder von der Macht verschwindet und die politische Linke wieder in die Staatskanzlei einzieht. Schon dass Lafontaine ein paar Jahre nach seinem Rücktritt in die Landespolitik zurückkehrte, hatte mit der Schmach von 1999 zu tun, so sehen es seine früheren Weggefährten. Der Sturz Müllers, sagte ein ehemals wichtiger Mitarbeiter Lafontaines, "war sein großes Motiv, vielleicht sein Hauptmotiv".

Nach dem Motto "getrennt marschieren, vereint schlagen" wollte Lafontaine vor der Landtagswahl 2004 der SPD wieder zum Regieren verhelfen. In einer Geheim-Aktion sondierte er, damals noch SPD-Mitglied, mit Vertrauten aus Partei und Gewerkschaften die Möglichkeit, mit einer zweiten SPD-Liste anzutreten. Auf diese Weise, so lautete seine Strategie, könnten die wegen der Agenda 2010 enttäuschten SPD-Wähler aufgesammelt werden, damit es am Ende doch noch für eine linke Mehrheit reicht. Lafontaine schrieb später in einem seiner Bücher: "Die Idee leuchtete meinen Gesprächspartnern ein, aber sie scheuten das Risiko und die unvermeidlich auftretenden Konflikte." Stattdessen fiel er der SPD kurz vor der Landtagswahl mit der Ankündigung in den Rücken, eine neue Wahlalternative zu unterstützen.

Als Lafontaine dann 2005 zur Linkspartei ging und andauernd die SPD attackierte, wurde das Verhältnis noch schwieriger. "Man hatte lange das Gefühl, sein Alleinstellungsmerkmal sei, sich immer gnadenlos mit der SPD zu fetzen", sagt Klimmt. Im Laufe der Zeit hätten sich die Gegensätze im Verhältnis zwischen SPD und Linken aber "immer mehr eingeebnet", sagt Klimmt.

2017 bietet sich Lafontaine voraussichtlich letztmalig die Gelegenheit, machtpolitisch etwas zu bewegen. Die Hürden für eine rot-rot-grüne Koalition hat er nicht sonderlich hoch gelegt. Im Bund kämpfe die Linke gegen Hungerlöhne und Ölkriege, sagt er, aber im Land sei die Situation anders. Wieder hilft ein Blick in die Vergangenheit: 2010 hatte Lafontaine, damals Linken-Bundeschef, in einer Grundsatzrede "Haltelinien" definiert, die für die Linke auf Landesebene "Voraussetzung einer Regierungsbeteiligung sein müssen". Dazu gehörte zwingend, dass Linke kein Personal in der Landesverwaltung abbauen dürfen.

Lafontaine ist noch immer gegen Stellenabbau im öffentlichen Dienst, aber er sieht die Sache heute etwas pragmatischer. Wenn es keinen anderen Bund-Länder-Finanzausgleich gebe und auch keine gerechtere Steuerpolitik, dann könne sich das Saarland nur im Geleitzug der anderen Länder bewegen, sagt er, sprich: Stellen abbauen. Das habe er als Ministerpräsident ja jahrelang selbst so praktiziert.

Wenn Oskar Lafontaine danach gefragt wird, was ihn nach mehr als 40 Jahren in der Politik heute noch motiviert, doziert er gerne über Belegschaftsbeteiligungen, die gerade jetzt wichtig seien, weil die Gesellschaft immer undemokratischer und die Vermögenverteilung immer ungerechter werde. Sein Ziel ist es auch, dass die AfD im Saarland "nicht so durch die Decke schießt" wie in anderen Bundesländern. "Ich glaube, da könnte ich einen Beitrag dazu leisten." Wer seine Aussagen zur Begrenzung des Flüchtlingszuzugs hört, wird daran kaum Zweifel haben.

Die große Frage ist, wie berechenbar Lafontaine in einer rot-rot-grünen Koalition wäre. Er würde natürlich kein Ministerium übernehmen, sondern die Fraktion führen. Und dort für Stabilität des Bündnisses sorgen? Klimmt glaubt, dass bei Lafontaine mittlerweile tatsächlich "so etwas wie eine konstruktive Phase" eingetreten ist, allerdings nicht ganz ohne Risiko: "Es könnte ein Problem daraus entstehen, dass er dazu neigt, es besser zu wissen."

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