Die Stimme der Mafia-Bosse

Saarbrücken · Luciana Feinler Torriani (76) lebt seit 1961 im Saarland und ist leidenschaftlich gerne Italienerin. Als Übersetzerin und Gerichtsdolmetscherin lernte sie die dunklen Seiten ihres Landes kennen. Eine zierliche, aber starke Frau unter schweren Jungs.

 Luciana Feinler Torriani im Saal 38 des Landgerichts Saarbrücken. Hier wurde sie Anfang der 90er Jahre als Geisel genommen. Foto: Serra

Luciana Feinler Torriani im Saal 38 des Landgerichts Saarbrücken. Hier wurde sie Anfang der 90er Jahre als Geisel genommen. Foto: Serra

Foto: Serra

Wer sie in ihrem Haus in Fechingen besucht, wird von Gewehren empfangen. Historische Prachtexemplare, nicht mehr funktionsfähige Sammlerstücke - und dennoch wird man während des Gesprächs die Vorstellung nicht mehr los, diese kleine, drahtige Person würde die Waffen wohl von der Wand reißen, müsste sie einen Einbrecher vertreiben. Denn wenn Luciana Feinler Torriani (76) eines nicht hat, dann ist es Angst. Die trainierte sie sich in fast 50 Jahren Umgang mit schweren Jungs nicht etwa ab. Charakterstärke und ein selbstbewusstes, resolutes Auftreten, das brachte das Mädchen aus Pesaro, das mit seinem Vater auf die Jagd ging, offensichtlich bereits nach Deutschland mit.

1960 folgte Luciana ihrem damaligen deutschen Mann, den sie im südtiroler Skiurlaub kennen gelernt hatte, nach Mannheim. Dort und später im Saarland, wo die junge Familie 1961 hinzog, traf sie auf das, was man heute versteckten Rassismus nennen würde. "Kannschde lese und schreiwe?", wurde die junge Frau aus bestem Hause mit Abitur in saarländischem Dialekt gefragt. Sie antwortete: "Meinen Sie Griechisch, Lateinisch, Englisch, Deutsch oder Italienisch?"

Es war eine Zeit, als für Polizeiverhöre italienischer Delinquenten noch die Frisöre oder Pizzabäcker von nebenan gerufen wurden. Eine Zeit, in der Lucianas Landsleute länger arbeiten mussten als die deutschen Kollegen und schlechter bezahlt wurden. Sie lernte den Gastarbeiter-Alltag als Beobachterin kennen, als junge Mutter von drei Töchtern, die später Germanistik und Italianistik studierte und mit ihrem Mann ein florierendes Reinigungs-Unternehmen aufbaute. Sie hatte Kontakt zur Italienischen Mission, zusammen mit dem Kaplan war sie unterwegs, in Arbeiter-Baracken, half beim Briefverkehr, bei Ämter- und Bankenbesuchen. Heute würde man sagen: Feinler Torriani arbeitete als Integrationshelferin.

Dabei wurde die Norditalienerin mit Dialekten, aber auch mit Verhaltensweisen ihrer Landsleute konfrontiert, die ihr von einem fremden Stern zu stammen schienen. Denn die meisten der im Saarland lebenden Italiener kamen aus dem Kreis Agrigent (Sizilien) und aus Apulien und Kalabrien. Feinler Torriani fräste sich in unbekannte Dialekte, schaffte sich teure, seltene Lexika an, etwa der Ganovensprache. Sie sagt: "Ich habe die Italiener richtig erst in Deutschland kennen gelernt. Es war eine große Entdeckungsreise." Auch in sehr dunkle Ecken. Der übergroßen Liebe zu ihrer Heimat tat das keinen Abbruch: "Ich bin widerlich patriotisch", meint Feinler Torriani und präsentiert einen italienischen Verdienstorden.

Begonnen hat das Ganze mit einer Notlage. Nachdem ein Aufsehen erregender Mafiaprozess in Saarbrücken bereits fünf Dolmetscher verschlissen hatte, die bedroht worden waren, rief der ratlose Vorsitzende Richter bei ihr an. Warum sie zusagte? "Ich hatte nie den Reflex, mich vor den nicht so schönen Dingen des Lebens zu schützen." Das erklärt vielleicht auch, warum Feinler Torriani es überhaupt so lange im Gericht aushält, wo der Schmutz der Seele und des menschlichen Miteinanders - Gewalt, Verrat, Niedertracht - zusammengekehrt wird.

Doch auch sie, die neue Dolmetscherin, wurde bei ihrer ersten Begegnung im Gerichtssaal vom Angeklagten zuerst einmal angezischt: "Wenn's für mich hier schlecht ausgeht, geht's dir und deiner Familie auch schlecht." Luciana flüsterte zurück: "Erlauben Sie sich das nie mehr!" Woher sie den Mut nahm? "Es war der Leichtsinn der Jugend", sagt sie. Und schiebt nach: "Ich lasse mir eben von niemandem die Füße auf den Kopf setzen." Diese Wehrhaftigkeit half und hilft ihr auch gegen die Verachtung der Clans im Zuschauerraum: "Sie geben mir zu verstehen, du bist zu dumm, um zu wissen, mit wem du es zu tun hast." Doch Gruselgefühle und Gänsehaut, meint sie, stellen sich eher bei Kollegen in Prozessen mit jugoslawischen oder russischen Beteiligten ein.

Wissbegier nennt sie als Hauptmovens dafür, dass sie dabei blieb. Die Justiz war eine fremde Welt, mit Ritualen und Regeln und einer Fachsprache, die sie lernen musste. "Das hat mich furchtbar viel Geld gekostet", sagt sie. Ihre Telefonkosten explodierten. Denn immer, wenn Luciana Feinler Torriani einen juristischen Terminus nicht kannte, rief sie bei ihrer Schwester in Italien an, einer Rechtsanwältin, und ließ sich briefen. Zwischenzeitlich kennt Luciana nicht nur alle Gerichte des Saarlandes von innen, vom Arbeitsgericht in Saarlouis über das Amtsgericht in Merzig bis zum Sozialgericht in Neunkirchen, sondern auch die Justizvollzugsanstalt auf der Saarbrücker Lerchesflur, wo Verhöre und Gegenüberstellungen laufen. Von Justizvollzugsbeamten wird sie schon mal mit Küsschen begrüßt - irgendwie gehört sie zum Inventar.

Vor Gericht, wohin wir sie an einem Vormittag begleiten, steigert sich ihre zackige Art des Sprechens noch. Sie sitzt dicht an dicht mit Vincenzo. Nicht zum ersten Mal, sie kennt ihn. Vincenzo wird Beihilfe zum Diebstahl vorgeworfen. Wenn Feinler Torriani übersetzt, was die Richterin sagt, unterstreicht sie ihre Ausführungen mit energischen Gesten und mehrfach mit einem strengen "Capito?!" Es wirkt fast wie eine mütterliche Gardinenpredigt.

Stellt sich mitunter, vor allem in langen Prozessen, nicht doch zu viel Nähe, vielleicht sogar Sympathie ein? Feinler Torriani verneint. Persönliche Beziehungen seien nie entstanden. Selbst die bedrohlichste, spektakulärste und gefährlichste Situation ihres Lebens betrachtet sie mit professioneller Distanz.

Anfang der 1990er Jahre. Ein Mafia-Prozess läuft unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen, mit Beamten des Sondereinsatzkommandos (SEK): vier Angeklagte, einer davon wird in Italien wegen Mordes gesucht. Genau der krallt sich Feinler Torriani, als sie an ihn herantritt, hält ihr eine Nagelfeile an den Hals. Doch das SEK greift blitzschnell ein, stößt sie zu Boden. Sie knallt mit dem Kopf auf die Stufe vor dem Richtertisch. Anstatt sich zum Arzt oder zumindest nach Hause zu begeben, erklärt Feinler Torriani dem verblüfften Richter: "Gebt mir ein Aspirin. Wir waren beim Schlusswort. Bringen wir's zu Ende." Besser als durch diese Szene kann man diese Frau kaum kennen lernen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort