Türken im Saarland wollen Erdogan-Film nicht sehen

Saarbrücken · "Hoffentlich sind Sie nicht der einzige Zuschauer". Die Befürchtung der Kino-Kassiererin bewahrheitete sich am Mittwochabend. Bei der nach drei Wochen letzten Vorstellung des türkischen Kinofilms "Reis" ("Der Anführer") im Saarbrücker Cinestar herrschte im Kinosaal, in dem die frühen Jahre des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan nachgezeichnet wurden, gähnende Leere. Niemand wollte den Film sehen.

Nun ist die türkische Gemeinde im Saarland verglichen mit Berlin oder Dortmund vergleichsweise klein. Und türkische Filme mit deutschen Untertiteln sind für das deutsche Publikum wenig geeignet. Aber auch bundesweit gilt das knapp zwei Stunden lange Drama über den "Anführer" als wenig erfolgreich. Gerade einmal 26 205 Zuschauer sahen nach Angaben der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft bis zum vergangenen Wochenende das Drama.

"Reis" schildert das Heranwachsen Erdogans in einfachen Verhältnissen im Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa bis zum Ende seiner Amtszeit als Oberbürgermeister der Bosporus-Metropole (1994-1998). Erdogan wird als strahlender "Anführer" dargestellt, der sich schon als Junge selbstlos für Gerechtigkeit und das Volk einsetzt - fast makellos. Nur bisweilen kann er gegen den Willen seines strengen, aber gutherzigen Vaters seiner großen Leidenschaft Fußball nicht widerstehen.

In der Türkei hatte die Presse Reis eigentlich für kommendes Jahr angekündigt. Jetzt läuft der Film wenige Wochen vor dem umstrittenen Verfassungsreferendum. Vor der Premiere am 26. Februar hatte Erdogan-Darsteller Reha Beyoglu die Verschiebung damit begründet, man habe dem Präsidenten den Film zu seinem 63. Geburtstag "schenken" wollen. Ein Propagandafilm sei "Reis" nicht. Erdogan habe mit dem Film nichts zu tun, sagte Beyoglu bei einer Pressekonferenz. Die Disponenten der großen Filmketten sagen zudem, dass sie von Woche zu Wochen rein nach der Auslastungszahl entscheiden, ob ein Film weiter gezeigt wird, hieß es.

Dabei tragen türkische Filme auch zum ökonomischen Erfolg der Kinobetreiber bei. Im Cinestar in Saarbrücken war in den vergangenen Tagen nach Aussagen der Kino-Kassiererin oft nur wegen "des türkischen Films" viel los. Viele türkischstämmige Franzosen kämen aus dem benachbarten Lothringen. Allerdings meint die blonde Frau mit "dem türkischen Film" nicht Reis, sondern Recep Ivedik 5.

Die klamaukige Komödie, die bei den Verleihern mit über 540 000 Zuschauern auf 123 deutschen Leinwänden in knapp fünf Wochen als Erfolgsfilm gilt, lief am Mittwochabend im Saal nebenan. Bewaffnet mit Popcorn und Cola ging zumindest eine türkisch-stämmige Familie zur ebenfalls letzten Vorstellung im Cinestar. "Pardon, wir wollen uns nicht Reis anschauen, sondern Recep Ivedar", sagte der Vater. In Reis hätten die beiden Kinder im Vorschulalter auch gar nicht reingedurft. Denn das Polit-Drama ist in Deutschland erst ab zwölf Jahren freigegeben - womöglich wegen ein paar Gewaltszenen.

Die Hommage an Erdogan endet übrigens 1999. Da musste der islamistische Politiker vier Monate ins Gefängnis. Er war wegen Aufstachelung der Bevölkerung zu Hass und Feindschaft verurteilt worden.

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