Gruseln statt genießen

Saarbrücken/Berlin · Von heute an müssen auf Zigarettenpackungen großflächig Gruselfotos und Warnungen gedruckt werden. So will es die EU-Tabakrichtlinie von 2014. Doch bis die neuen Schachteln in die Läden kommen, dauert es noch.

 Auch mit solchen Bildern werden Raucher bald konfrontiert sein: „Rauchen schädigt ungeborene Babys“ steht auf dieser Verpackung, die in Australien im Handel ist. Foto: dpa

Auch mit solchen Bildern werden Raucher bald konfrontiert sein: „Rauchen schädigt ungeborene Babys“ steht auf dieser Verpackung, die in Australien im Handel ist. Foto: dpa

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Die Luft ist qualmgeschwängert in dem kleinen Tabakladen in der Saarbrücker Innenstadt. Hier darf der Raucher noch Raucher sein - wenn auch ein wenig versteckt in einer Ecke. Genüsslich zieht dort ein Mann an seiner Zigarre. Würde er sie beim Anblick offener Raucherbeine und zerfledderter Lungenflügel auf Rauchwaren-Verpackungen in den Aschenbecher verbannen? Nein, sagt er - und fühlt sich offensichtlich ein wenig ertappt: "Ich bin ja auch eher Gelegenheitsraucher. Höchstens mal eine Zigarre am Tag", fügt er entschuldigend hinzu. Ein anderer Kunde, der eine Packung Zigarillos verlangt, lacht indes spöttisch auf: "Unsinn, jeder weiß doch, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist." Nein, ihn würden die Gruselbilder "auf keinen Fall" vom Rauchen abhalten. Auch die Verkäuferin glaubt nicht, dass die neue EU-Richtlinie tatsächlich großen Einfluss auf Tabak-Umsatz und Konsumverhalten hat. "Am Anfang vielleicht", sagt sie, "aber die Leute werden sich schnell an die Schockbilder gewöhnen, ähnlich wie vor ein paar Jahren an die Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln." Und dann ist der passionierte Raucher ja inzwischen wieder aufs Zigarettenetui gekommen, das unästhetische Aufdrucke notfalls dezent verschwinden lässt.

Nichtsdestotrotz geht die Zahl der Raucher in Deutschland beständig zurück. In den vergangenen 15 Jahren hat sich der Absatz nach Branchenangaben auf 80 Milliarden Zigaretten pro Jahr halbiert. Insgesamt würden etwa 100 Milliarden Zigaretten im Jahr geraucht.

Das könnten bald weit weniger werden. Denn denjenigen, die dem Laster immer noch frönen, soll der zweifelhafte Genuss nun endgültig vergällt werden: Von heute an müssen in Deutschland Zigaretten- und Tabakschachteln mit Schockbildern und Warnhinweisen versehen werden. Sowohl auf der Vorder- als auch Rückseite. Dabei dürfen die Gruselbilder auch nicht am unteren Rand versteckt werden - ob faulende Raucherbeine, schwarze Zahnstümpfe oder gar schwerst geschädigte Säuglinge. So schreibt es eine EU-Richtlinie vor. Bis die neuen Packungen in Läden und Automaten auftauchen, wird es wohl noch bis Herbst dauern. Alt-Verpackungen können noch ein Jahr lang abverkauft werden.

Eigentlich ist die EU-Tabakproduktrichtlinie bereits am 19. Mai 2014 in Kraft getreten. Sie sieht zum Schutz vor den Gefahren des Tabakkonsums schärfere Regeln für Herstellung, Präsentation und Verkauf von Tabakwaren vor. Heute ist nun der Stichtag, an dem sie in nationales Recht umgesetzt sein muss. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte am 4. Mai 2016 die Richtlinie nochmals bestätigt. Danach sind die neuen Verpackungsregeln, aber auch das Verbot von Menthol-Zigaretten sowie die Regelungen für E-Zigaretten rechtmäßig. Das bedeutet unter anderem, dass Menthol-Produkte ab 20. Mai 2020 komplett verboten sind. Ebenso sollen Aromen, die den Tabakgeschmack überdecken, vom Markt verschwinden. Auch für nikotinhaltige E-Zigaretten und Nachfüllbehälter gibt es Sicherheits- und Qualitätsanforderungen. Denn der Markt für elektronische Zigaretten, bei denen eine Flüssigkeit verdampft und durch den Konsumenten inhaliert wird, ist noch relativ jung. Bisher gibt es in Deutschland keine spezifischen gesetzlichen Regelungen.

Ab Juli 2020 soll auch die Zigarettenwerbung auf Plakaten und im Kino verboten sein - zumindest bei Filmen, die für Zuschauer unter 18 freigegeben sind. Ebenso sollen Außenflächen wie Plakatwände und Litfaßsäulen für Tabakreklame tabu sein.

Die deutschen Hersteller fühlen sich indes von der Politik verschaukelt. Sie hatten auf eine längere Frist für die Umrüstung ihrer Maschinen gepocht, sind aber gescheitert. "Vor allem in den osteuropäischen Nachbarländern haben die Hersteller mehr Zeit und so Wettbewerbsvorteile", sagte der Geschäftsführer des Deutschen Zigarettenverbandes, Jan Mücke. So könnten diese etwa in Polen, Tschechien und Ungarn die EU-Vorgaben später umsetzen und nicht wie in Deutschland bis zum 20. Mai. "Für diese Wettbewerbsverzerrung trägt die Politik die Verantwortung", meinte Mücke. Noch nicht alle Marken würden ab heute im neuen Design produziert. Die Unternehmen arbeiteten zwar mit Hochdruck an der Umstellung, aber diese erfolge Stück für Stück.

In Saarbrücker Tabakläden hält sich die Furcht vor Umsatzeinbußen durch die Schockfotos weitgehend in Grenzen: "Wer raucht, der raucht. Den schrecken solche Bilder bestimmt nicht ab", meint eine Verkäuferin in der Karstadt-Passage.

Meinung

Ab in die Schmuddelecke

Von SZ-Korrespondent Markus Grabitz

Allein in Deutschland sterben jedes Jahr 110 000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Bei diesem Elend, das das Rauchen über den Betroffenen und seine Familie bringt, aber auch über die ganze Gesellschaft, ist es legitim, wenn die EU die Schraube weiter anzieht und das Produkt, das massenhaft den schleichenden Tod bringt, strenger reguliert. Je mehr die Zigarette in der Schmuddelecke ist, desto weniger attraktiv dürfte das Rauchen für Kinder und Jugendliche sein.

In einem Punkt ist die Regulierung aber vermutlich über das Ziel hinausgeschossen. Sie stellt nämlich klassische Tabakprodukte gleich mit neuen Formen des Nikotin-Gebrauchs. Zigarette, Zigarre und Pfeife werden künftig genauso behandelt wie die sogenannte E-Zigarette, die ohne den eigentlichen Verbrennungsprozess auskommt. Ihr Konsument inhaliert lediglich erhitzten, teils nikotinhaltigen Dampf. Viele Experten sind sich einig, dass die gesundheitlichen Gefahren beim klassischen Rauchen wesentlich höher sind. Es gibt auch immer mehr Mediziner, die in der E-Zigarette so etwas wie das Methadon der Nikotin-Süchtigen sehen. Niemand behauptet dabei, das Dampfen sei unschädlich. Es stellt sich also durchaus die Frage, warum der Gesetzgeber jetzt mit genau so harten Bandagen gegen die E- wie gegen die klassische Zigarette vorgeht.

"Die Konfrontations-Therapie funktioniert"



Der saarländische Grünen-Fraktionschef Hubert Ulrich hält Schockbilder auf Zigarettenpackungen

Der Fraktionschef der Grünen im Saar-Landtag, Hubert Ulrich, war in Zeiten der Jamaika-Koalition (2009 bis 2012) maßgeblicher Initiator eines Rauchverbots im Saarland. SZ-Redakteurin Iris Neu sprach mit ihm über Sinn und Wirkung von Schockbildern.

Sind Schockbilder tatsächlich ein probates Mittel, um vom Rauchen abzuschrecken?

Ulrich: Ja, diese Form der Abschreckung scheint zu funktionieren. Es gibt bereits rund 70 Länder auf dieser Erde, in denen diese Schockbilder Realität sind. Dort hat man tatsächlich einen signifikanten Rückgang von Rauchern festgestellt.

Umfragen zufolge fühlen sich 94 Prozent der Deutschen sehr gut informiert über die Gefahren des Rauchens. Warum braucht es dennoch diese Bilder?

Ulrich: Das hat mit dem Marketing zu tun. Rauchen wurde in der Vergangenheit als tolles Lebensgefühl mit ästhetischen Bildern verkauft - man denke nur etwa an den Marlboro-Mann. Jetzt wird die Strategie umgekehrt: Mit den Schockbildern wird Konsumenten von Tabak eindringlich vor Augen geführt, was die Folge des Rauchens ist.

Diverse Warnhinweise gibt es doch bereits auf allen Zigarettenpackungen. Reicht das nicht aus?

Ulrich: Die optische Verstärkung hat eine tiefgreifendere Wirkung. Ein Modell aus Hamburg kann das verdeutlichen: Dabei werden Schulklassen in Krankenhäuser geführt und mit Lungenkrebs-Erkrankten konfrontiert, die von ihrem Leid erzählen. Diese Maßnahme hat dazu geführt, dass aus diesen Schulklassen wesentlich weniger Jugendliche mit dem Rauchen begonnen haben als in anderen Klassen ohne diese Maßnahme. Die Konfrontations-Therapie funktioniert also durchaus.

Halten Sie noch weitere abschreckende Maßnahmen für nötig?

Ulrich: Natürlich ist es die Entscheidung jedes Einzelnen zu rauchen oder es nicht zu tun. Der Staat kann nur eindrücklich auf die Gefahren hinweisen. Daher bin ich auch für ein striktes Tabak-Werbeverbot.

Während der Zigaretten-Konsum seit Jahren bekämpft wird, erleben Shisha-Bars einen Boom. Sie ziehen vor allem Jugendliche an. Müsste man denen nicht ebenso konsequent den Dampf abstellen?

Ulrich: Das saarländische Nichtraucherschutzgesetz untersagt das Rauchen von Shishas in geschlossenen Räumen. Es ist schlicht ein Versagen der Behörden, der Ordnungsämter, die das nicht richtig kontrollieren.

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