Mit Schnupfen in die Notaufnahme?

Saarbrücken · Viele Notaufnahmen arbeiten an der Belastungsgrenze: Die Ambulanzen sind zu Stoßzeiten so überfüllt, dass Ärzte mit der Versorgung kaum hinterherkommen. Dabei ist längst nicht jeder Patient gleich ein Notfall.

 Notfall Erkältung? Patienten mit harmlosen Krankheiten suchen immer häufiger die Notaufnahmen von Kliniken auf. Foto: Fotolia

Notfall Erkältung? Patienten mit harmlosen Krankheiten suchen immer häufiger die Notaufnahmen von Kliniken auf. Foto: Fotolia

Foto: Fotolia

Spätsommer, wärmende Sonnenstrahlen, laues Lüftchen - ein idealer früher Abend, um noch ein wenig durch den Wald zu joggen. Susanne S. pfeift ihren Husky Hugo herbei und springt mit ihm aus dem Haus. Eine Stunde später landen Hund und Herrin erschöpft aber glücklich wieder zu Hause. Doch für Susanne S. soll der Abend weit unangenehmer werden, als er begonnen hat. Mehrere juckende rote Flecken an Armen und Beinen machen ihr zu schaffen, an nächtlichen Schlaf ist nicht zu denken. Mückenstiche sind für die Jahreszeit nichts Außergewöhnliches, weiß die 37-Jährige, doch die Spezialsalbe, die sie aus ihrer Hausapotheke kramt, will den höllischen Juckreiz einfach nicht lindern. Im Gegenteil: Nach einer unruhigen Nacht erwacht sie am Morgen mit einer fast golfballgroßen Schwellung am linken Arm. Entnervt und ein wenig beunruhigt nimmt Susanne S. den Telefonhörer in die Hand: Anruf beim Hausarzt, doch da ist permanent besetzt. Ausgerechnet an diesem Vormittag hat die Versicherungsangestellte einen wichtigen beruflichen Termin, der keinen Aufschub duldet. Kurz entschlossen schwingt sich Susanne S. in der Frühe in ihren Golf und steuert zwecks eiliger Hilfe die Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses an. Dort durchläuft sie zunächst eine Ersteinschätzung: Ein Arzt prüft die Dringlichkeit der medizinischen Versorgung. Nach erfolgter Anmeldung wird Susanne S. gebeten, erst einmal im Wartezimmer Platz zu nehmen. Dort sitzt sie wie auf glühenden Kohlen. Die Zeit drängt, und selbst beharrliches Nachfragen bringt nichts - ihren beruflichen Termin kann Susanne S. inzwischen abhaken. Erst nach zweieinhalb Stunden hat endlich ein behandelnder Arzt Zeit für sie.

Wie der 37-Jährigen geht es vielen in deutschen Krankenhäusern. Bleibt allerdings auch die Frage, ob Patienten mit entzündeten Mückenstichen, aufgeschürften Wunden, Schnupfen oder Magenunverträglichkeiten überhaupt in die Notaufnahme einer Klinik gehören.

Dr. Christian Braun, Ärztlicher Direktor des Klinikums Saarbrücken am Winterberg und Leiter der zentralen Notaufnahme, schätzt, dass ungefähr 20 Prozent der Patienten , die sich hier vorstellen, ambulant von einem niedergelassenen Arzt versorgt werden könnten. Freilich sei häufig Unsicherheit dafür verantwortlich, dass Patienten gleich den Weg ins Krankenhaus suchten - in den meisten Fällen sicherlich berechtigt. In anderen Fällen wiederum stelle sich die Frage, ob eine Notaufnahme mit Maximalversorgung wirklich angebracht sei. Pro Jahr suchen inzwischen um die 37 000 Menschen die zentrale Notaufnahme des Klinikums Saarbrücken auf, wie Braun berichtet. Rund ein Drittel davon werde stationär aufgenommen. Dass sich die Zahl der zu behandelnden Menschen in der Notaufnahme innerhalb von neun Jahren um mehr als 12 000 erhöht hat, führt Braun auch auf die gestiegene Erwartungshaltung zahlreicher Patienten zurück: höchstmögliche Versorgung in möglichst kurzer Zeit. Dabei würden viele die Erfahrung machen, dass die Wartezeit in Krankenhäusern eben nicht kürzer sei als bei Haus- oder Facharzt. "Herzinfarkte oder Schlaganfälle haben logischerweise Vorrang in der Notaufnahme, da muss ein Patient mit Mückenstich unter Umständen eben eine längere Wartezeit in Kauf nehmen", erklärt Braun. Seinen Angaben zufolge erhalten Kliniken durchschnittlich zwischen 30 und 40 Euro für einen Notfallpatienten bei einem Behandlungsaufwand von 100 bis 120 Euro. Ein Minusgeschäft für die Häuser also.

Doch trotz mancher Klagen über lange Wartezeiten "spielen wir hier in Deutschland, was die Notfallversorgung betrifft, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in der Champions League", sagt Braun. An Wochenenden und an Feiertagen erhalten die Klinikärzte im Saarland Unterstützung durch Notdienstpraxen, die die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Saarland unter anderem am Winterberg-Klinikum der Landeshauptstadt und beim Caritasklinikum St. Theresia in Saarbrücken angesiedelt hat. "Diese Notfallpraxis entlastet uns extrem", sagt der Ärztliche Leiter der Notaufnahme der Caritasklinik, Professor Manfred Lutz. "Wir würden uns die Einrichtung eines solchen Dienstes zusätzlich unter der Woche wünschen - immer dann, wenn die Praxen niedergelassener Ärzte geschlossen sind."

Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) suchen jährlich mehr als 20 Millionen Menschen eine Notaufnahme auf - davon werden rund elf Millionen Fälle ambulant behandelt. Joachim Szecsenyi, der für den Ersatzkassenverband Vdek federführend eine neue Studie zum Ansturm auf die Ambulanzen geschrieben hat, meint, das schwindende Bewusstsein der Menschen für ihre eigene Gesundheit sei der Anfang des Problems. "Die Patienten müssten besser informiert werden: Wann muss ich überhaupt zum Arzt?" Wo früher bei einem fiebernden Kind ein Wadenwickel ausreichte, ist heute oft die Klinik die erste Anlaufstelle. Auffallend ist jedoch auch, dass unter den Notfall-Patienten überproportional viele Menschen mittleren Alters sind. Und die kommen nicht etwa nur dann zum Krankenhaus, wenn die Arztpraxen geschlossen haben. Den höchsten Zulauf verzeichnen die Kliniken tagsüber.

Der Vdek fordert deshalb eine Reform der ambulanten Notfallversorgung. Alle Krankenhäuser sollten sogenannte Portalpraxen aufbauen, die rund um die Uhr an der stationären Notfallversorgung teilnehmen. Sie sollten eine rasche Erstbegutachtung der Patienten vornehmen und sie dann entweder in die niedergelassene Arztpraxis außerhalb des Krankenhauses (innerhalb der Sprechstundenzeiten) oder in die ambulante Notdienstpraxis im Krankenhaus (außerhalb der Sprechstundenzeiten) beziehungsweise in die reguläre Notaufnahme des Krankenhauses weiterleiten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort