„Es ist eine Schande, was da passiert ist“

Pfullendorf/Berlin · Sexuelle Nötigung, Mobbing, Misshandlungen: Der Skandal von Pfullendorf erinnert an vermeintlich längst vergangene Zeiten bei der Bundeswehr. Politiker in Berlin fordern Aufklärung und nehmen auch die Führung ins Visier.

 Was sich hinter den Mauern der Staufer-Kaserne im Pfullendorf alles abspielte, soll nun auch politisch aufgeklärt werden. Foto: Warnack/dpa

Was sich hinter den Mauern der Staufer-Kaserne im Pfullendorf alles abspielte, soll nun auch politisch aufgeklärt werden. Foto: Warnack/dpa

Foto: Warnack/dpa

Die Anfahrt durch einen Wald endet vor schweren Eisentoren. "Militärischer Sicherheitsbereich, unbefugtes Betreten verboten!" heißt es auf einem Schild, daneben steht zur Sicherheit noch mal "Stop". Wer keine Berechtigung hat, in die Pfullendorfer Staufer-Kaserne hineinzufahren, kommt hier nicht weiter. Hinter den Toren soll es zu Gewalt-Exzessen gekommen sein, die die Bundeswehr erschüttern und Fragen aufwerfen.

Zum Beispiel: Wie konnten sexuelle Nötigung , Mobbing , Misshandlungen und Demütigungen an einem Elite-Standort lange weitgehend unentdeckt bleiben? Und: Hat die militärische Führung inklusive Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU ) angemessen reagiert und informiert? Bundestags-Fachpolitiker von SPD und Grünen meldeten gestern schon mal Zweifel an. Der Verteidigungsausschuss des Bundestages soll der Sache demnächst auf den Grund gehen.

Laut "Spiegel Online" gab es bereits 2015 erste Hinweise auf Verfehlungen bei der Ausbildung sowie Mobbing gegen Frauen in der Kaserne bei Sigmaringen. Wo eigentlich nationale und internationale Spezialkräfte für ihren Einsatz geschult werden sollen, kam es demnach zu "sexuell-sadistischen Praktiken" und Gewaltritualen.

Am Wochenende sind die Vorwürfe im Zentrum der Kleinstadt Thema Nummer eins. "Es ist eine Schande, was da passiert ist", sagt eine Anwohnerin. Ministerin Von der Leyen hatte die Vorfälle zuvor als "abstoßend" und "widerwärtig" bezeichnet - sie verletzten "auf das Schwerste die Grundsätze der Inneren Führung".

In Berlin war die Nachricht wohl nicht ganz neu. Laut "Spiegel" wandte sich im Oktober ein weiblicher Leutnant aus dem Sanitätsbereich an den Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels und auch direkt an von der Leyen. Die Soldatin soll beschrieben haben, dass sich Rekruten bei der Ausbildung vor den Kameraden nackt ausziehen mussten. "Vorgesetzte filmten mit, angeblich zu Ausbildungszwecken", heißt es. Auch von medizinisch unsinnigen, sexuell motivierten Übungen sei die Rede.

Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold erzählt nun, er sei im vorigen Sommer in der Staufer-Kaserne gewesen und habe das Gefühl gehabt, "dass dort nicht gut und verantwortungsvoll geführt wird". Der Wehrbeauftragte Bartels findet am Wochenende harte Worte zu den Gewaltexzessen: Die Dienstaufsicht habe versagt, und "um einen Neuanfang wird man nicht herumkommen". In Pfullendorf habe es womöglich "noch Restbestände von einem Machoverhalten" gegeben. Allerdings weist auch Bartels' noch druckfrischer Jahresbericht für den Bundestag diverse Beispiele für krasses Fehlverhalten in der Truppe auf. In Eingaben hätte Soldaten aus verschiedenen Einheiten Äußerungen von Vorgesetzten wie "Du bist so dumm, erschießen sollte man dich", "Dreckschwein", "Schwachköpfe" oder "Homos" geschildert.

Schon mehrfach hat es Gewalt-Skandale in der Bundeswehr gegeben, wie 2010 bei den Gebirgsjägern im oberbayerischen Mittenwald oder 2006 in der Kaserne Zweibrücken (siehe Text rechts). Der wohl schlimmste Fall liegt schon über 50 Jahre zurück: 1963 machte der "Schleifer von Nagold" - wie Pfullendorf eine kleine Stadt in Baden-Württemberg - Schlagzeilen. Rekruten wurden brutal traktiert und unwürdigen Schikanen ausgesetzt - bis zu Liegestützen über einem aufgeklappten Taschenmesser. Der 19-jährige Rekrut Gerd Trimborn überlebte die Tortur nicht.

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Hintergrund Auch die Saarlandbrigade hatte vor rund zehn Jahren ihren Skandal um obszöne Aufnahmerituale: Im Juni 2006 geriet die Zweibrücker Niederauerbach-Kaserne, Standort des Fallschirmjägerbataillons 263 als Teil der Luftlandebrigade 26 (Saarlandbrigade), bundesweit in die Schlagzeilen - mit der "Dörrobst-Affäre". Dabei ging es um perverse Mutproben bei Aufnahmefeiern für Unteroffiziere, denen die Kameraden Datteln ins Gesäß schoben - offenbar routinemäßig. Die Bundeswehr schloss die Kompanie damals vom Kongo-Einsatz aus. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen einen Feldwebel und einen Hauptmann. Der Feldwebel als Haupttäter wurde 2007 zu einer Geldbuße von 2000 Euro verurteilt. Ebenso 2008 der Hauptmann als ehemaliger Kompaniechef. Der Offizier legte indes Berufung ein und wurde im September 2010 freigesprochen. kes

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