Rückenwind für Kolumbiens Frieden – vielleicht

Oslo/Bogotá · Kolumbiens Präsident Santos will den seit mehr als einem halben Jahrhundert andauernden Konflikt in seinem Land beenden. Doch die Nobelpreis-Vergabe an ihn ist eine riskante Wahl.

 Santos bedankte sich gestern für die Auszeichnung. „Kolumbianer, das ist euer Preis“, sagte er. Foto: dpa

Santos bedankte sich gestern für die Auszeichnung. „Kolumbianer, das ist euer Preis“, sagte er. Foto: dpa

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Die Nachricht reißt ihn aus dem Schlaf. In Kolumbien ist es mitten in der Nacht, als die Osloer Jury Präsident Juan Manuel Santos zum Friedensnobelpreisträger macht. Sein Sohn Martín überbringt dem Staatschef die frohe Botschaft.

Seine ganze Kraft hat der Politiker zuletzt dem Ziel gewidmet, sein Land nach mehr als einem halben Jahrhundert des Bürgerkriegs zum Frieden zu führen. Gemeinsam mit dem Chef der linken Farc-Guerilla unterzeichnet er im September ein historisches Friedensabkommen. Doch das Nein der Bürger zu dem Vertrag bei einer Volksabstimmung verpasst dem Friedensprozess einen gewaltigen Dämpfer. Der Nobelpreis soll Ansporn sein, die Hoffnung auf Frieden in Kolumbien nicht aufzugeben, das erwartet die Jury. Doch die Vergabe an Santos ist gewagt.

Nach dem geplatzten Vertrag zwischen Regierung und Rebellen steht der Friede auf wackligen Beinen. "Wir sind sehr nah dran", meint Santos in seiner ersten Rede als Nobelpreisträger. Doch die Ablehnung des Abkommens hat das Misstrauen vieler Kolumbianer offenbart: Es war keine Entscheidung für weiteren Krieg, sondern gegen einen Vertrag, der vielen zu soft ist. Auch die geplante politische Betätigung von Ex-Guerilleros stößt vielen Bürgern bitter auf - den Rebellen werden anfangs bis zu zehn Kongresssitze garantiert.

Mit voreiligen Preisen hat sich das Nobelkomitee früher keinen Gefallen getan. Nach dem Preis für US-Präsident Barack Obama kurz nach dessen Amtsantritt 2009 hagelte es Kritik - im Rückblick zurecht. Auch die Erwartungen nach der Vergabe an die Israelis Izchak Rabin und Schimon Peres sowie Jassir Arafat 1994 blieben unerfüllt: Zwei Jahrzehnte später bekämpfen sie sich in Nahost noch immer. Den Preis an den kolumbianischen Präsidenten hält Friedensforscher Dan Smith trotzdem für richtig. "Das Komitee ehrt die Arbeit, die schon gemacht wurde, und der Preis ist Ansporn für die, die noch nötig ist", sagt der Chef des Forschungsinstituts Sipri. "Es ist wichtig, die zu ermutigen, die für Frieden kämpfen." Das wolle Santos "bis zu seinem letzten Tag im Amt" tun, lobt die Jury.

In Kolumbiens Hauptstadt Bogotá feiern Studenten, die auf dem Bolívar-Platz kampieren und für die Umsetzung des Friedensvertrags demonstrieren. "Wir haben das mit Freude aufgenommen, weil wir immer wollten, dass die internationale Gemeinschaft Kolumbien nicht im Stich lässt", sagt ein junger Mann. "Hoffen wir, dass diese Botschaft dazu beiträgt, dass wir zum Abschluss dessen kommen, was alle Kolumbianer wollen."

Die Gretchenfrage an dieser nach der Niederlage beim Referendum doch überraschenden Preisverleihung lautet: Nützt der Nobelpreis oder schadet er beim Ringen um dauerhaften Frieden? Dass die Farc leer ausgeht, könnte ihre Bereitschaft dämpfen, den Vertrag neu zu verhandeln. Warum sollen sie Zugeständnisse für strengere Strafen machen? Und die Gegner des Friedens werden sich auch von einem Nobelpreis nicht umstimmen lassen.

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Hintergrund Preisträger der Vorjahre: 2015: Das tunesische Quartett für den nationalen Dialog für den Beitrag zum Demokratie-Aufbau. 2014: Die junge pakistanische Vorkämpferin für Kinderrechte, Malala Yousafzai , sowie der Inder Kailash Satyarthi, der gegen Kinderarbeit kämpft. 2013: Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW). 2012: Die EU für ihren Beitrag für Frieden, Demokratie und Menschenrechte. 2011: Ellen Johnson-Sirleaf , Leymah Gbowee (Liberia) und Tawakkul Karman (Jemen) für ihren Kampf für Frauenrechte. dpa

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