Die verbotene Stadt öffnet ihre Tore

Mettlach · Das Gelände hinter der Alten Abtei in Mettlach, dem Konzernsitz von Villeroy & Boch, wird völlig neu gestaltet. Alte Fabrikhallen werden umgebaut, neue Flächen erschlossen. Mettlach 2.0 heißt das Zukunftsprojekt.

 So soll das Areal hinter der Alten Abtei in Mettlach im Jahr 2020 aussehen. Das Gelände wird für Besucher und Spaziergänger geöffnet.

So soll das Areal hinter der Alten Abtei in Mettlach im Jahr 2020 aussehen. Das Gelände wird für Besucher und Spaziergänger geöffnet.

Foto: Computeranimation: Kulle/Art Direction

Auf der Ladentheke von Martina und Vanessa Deitz steht eine Schale mit Glückssteinen. Kunden, die das Blumengeschäft der beiden Frauen in der Mettlacher Heinertstraße besuchen, können in diese Schale greifen, einen dieser unscheinbaren Steine mitnehmen und damit eine Portion Liebe, Freude, Geduld, Glück oder Kraft mit nach Hause tragen - je nachdem, was dort eingraviert ist.

Dieter Austgen, Justus Thiede und Peter Delwing sollten tief in diese Schale fassen - und zwar gleich für eine Handvoll Steine. Denn sie dürften all das und noch vieles mehr gebrauchen. Sie stecken mitten in einem Meilenstein-Projekt, das sowohl dem Keramik-Konzern Villeroy &Boch (V&B) als auch der Gemeinde Mettlach und nicht zuletzt dem Tourismus an der unteren Saar einen kräftigen Schub geben könnte. Mettlach 2.0 heißt das Vorhaben, das wie ein Update ein Computerprogramm klingt. Doch virtuell und digital sind nur die Pläne für Mettlach 2.0. Alles andere ist real und analog. Im Jahr 2020 soll aus der Vision Wirklichkeit geworden sein. Der Spatenstich für den zweiten Bauabschnitt findet heute statt. Betriebswirt Dieter Austgen ist der Projektleiter von Mettlach 2.0, Justus Thiede der Architekt und Jurist Peter Delwing für Verträge, Flächennutzungsplanung und Förderanträge zuständig. Alle drei sind Mitarbeiter von V&B und sie haben die Aufgabe, auf dem 6,5 Hektar großen Areal hinter der Alten Abtei, dem Konzernsitz von Villeroy & Boch, so richtig aufzuräumen und die Fläche neu zu gestalten.

Diese Gelände, das 50 Prozent der bebauten Fläche Mettlachs umfasst, beheimatete einst Keramik-Fabriken des fast 270 Jahre alten Traditionsunternehmens. Doch seit 2011, als die Geschirrfertigung dort geschlossen und in Merzig sowie Torgau (Sachsen) konzentriert wurde, lagen große Teile des Geländes brach. Es drohte der Verfall. "Der Vorstand entschied sich damals für eine radikale Lösung", erinnert sich Austgen. 20 Millionen Euro wurden als Etat genehmigt. Als erstes soll die Alte Abtei, bis 1792 die Heimat von Benediktiner-Mönchen, mit ihrer Barock-Fassade entlang der Saar aufgewertet werden. Im hinteren Bereich werden etliche Gebäude abgerissen, andere werden kernsaniert und zu einem Ensemble verdichtet, das die Anmutung eines Forums hat.

Den größten Raum nimmt im Innern eine Grünfläche ein, "die als Barockgarten angelegt werden soll, aber auch die strengen Strukturen neuzeitlicher Garten-Architektur in sich vereinigt", betont Thiede. Außerdem soll auf einem Teil des Geländes eine Freilichtbühne entstehen, die "kleineren Konzerten einen idealen Rahmen bietet", sagt der Architekt. Die frühere Geschirrfabrik links hinter dem Haupteingang zur Alten Abtei soll zu einem Büro- und Konferenzzentrum umgebaut werden. Derzeit stehen von diesem Längsbau nur noch die Grundmauern. Links daneben werden das Keramikmuseum, die Keravision, die die Geschichte von V&B zeigt, und das Infozentrum Bad und Wellness einziehen. Zusätzliches Leben sollen möglicherweise Restaurants und kleinere Läden bringen, die im Erdgeschoss des hinteren Quergebäudes angesiedelt werden sollen.

Von Anfang an war das Vorhaben "mit der Gemeinde abgestimmt", betont Stephan Langenfeld, der in der Bauverwaltung Mettlach 2.0 betreut. Schon früh wurde eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Denn für die im Saartal eingebettete Kommune eröffnet sich die einmalige Chance, "dass ihre beiden Teile endlich zusammenwachsen können", sagt Langenfeld.

Bisher war das V&B-Areal für die Mettlacher wie eine "verbotene Stadt". Die Gegend rund um den Bahnhof hat mit der touristisch attraktiven Fußgängerzone auf der anderen Seite nichts gemein. In der Heinertstraße, in der Martina und Vanessa Deitz ihren Blumenladen betreiben, und die dort eine Art Mittelpunkt sein soll, pulsiert das Leben eher gemächlich. "Wenn hier nicht so viele Arztpraxen wären, käme kaum jemand hierher", sagen die Frauen. Das bestätigt auch Cornelia Klupsch, die in der gleichen Straße mit Autoteilen handelt und Fahrräder verleiht. Die Mietkunden für ihre Drahtesel "schickt mir entweder die Tourismuszentrale, oder die Leute entdecken mich im Internet."

Das soll sich mit Mettlach 2.0 ändern. Die "verbotene Stadt" reißt ihre Mauern nieder. Ein Flanierweg durch das V&B-Gelände vorbei am Alten Turm und durch den mit ausladenden Bäumen durchzogenen Abteipark soll die beiden Zentren der Gemeinde als Fußweg miteinander verbinden. Die Zeiten des Umfahrens oder -laufens sollen dann vorbei sein. Die Geschäftsfrauen in der Heinertstraße sehen dem Projekt daher mit gespannter Erwartung entgegen. "Viel erfahren haben wir aber eigentlich noch nicht davon", kritisieren sie die Informationspolitik von V&B und der Kommune.

Klaus Müller-Zick, Referatsleiter Stadtentwicklung und Städtebauförderung im saarländischen Innenministerium, hat hingegen schon eine Menge Arbeit in Mettlach 2.0 gesteckt. Seit 2011 ist er damit befasst. "Für uns ist das ein wichtiges Pilotprojekt der Städtebauförderung im Saarland", sagt er. Aus dem Bund-Länder-Förderprogramm "Stadtumbau West" wurden seit 2013 rund 2,7 Millionen Euro für das Vorhaben bereitgestellt, wobei der Bund etwas mehr als ein Drittel davon übernommen hat. Die restliche Summe müssen das Land und die Kommune zu gleichen Teilen aufbringen. Auch in diesem und in den nächsten Jahren sollen Gelder fließen. Deren Höhe steht allerdings noch nicht fest.

 Martina und Vanessa Deitz (v.l.) erhoffen sich für ihr Blumengeschäft viel von Mettlach 2.0.

Martina und Vanessa Deitz (v.l.) erhoffen sich für ihr Blumengeschäft viel von Mettlach 2.0.

 Der Alte Turm, der älteste Sakralbau des Saarlandes, führt im Moment eher ein Schattendasein. Fotos: ruppenthal

Der Alte Turm, der älteste Sakralbau des Saarlandes, führt im Moment eher ein Schattendasein. Fotos: ruppenthal

Für den Tourismus sollen durch das Vorhaben in Mettlach ebenfalls "rosige Zeiten anbrechen". Das jedenfalls ist die Meinung von Matthias Hießerich, Geschäftsführer der Saarschleife Tourismus GmbH, die die Gemeinde für den Fremdenverkehr vermarktet. "Es wird dann hochinteressant, durch Mettlach zu bummeln, denn die architektonischen Kleinodien wie der Alte Turm und der Schinkelbrunnen rücken wieder stärker in den Fokus." Der Alte Turm ist eine kleine Kirche mit achteckigem Grundriss. Sie wurde zwischen 987 und 994 als Marienkirche errichtet und ist das älteste sakrale Bauwerk im Saarland. Der gusseiserne Brunnen wurde nach den Plänen des preußischen Oberbaurats Karl-Friedrich Schinkel erbaut und im Sommer 2003 nahe dem ursprünglichen Platz im Mettlacher Abteipark wieder aufgestellt. Hießerich setzt vor allem auf Bustouristen , "die sich künftig einen ganzen Tag lang in Mettlach aufhalten können" - inklusive eines Besuchs im Keramikmuseum, in der Brau-Gaststätte des Mettlacher Abtei-Bräu und eines Einkaufsbummels in den Fabrikverkauf-Läden des Mettlach Outlet Center. Es herrscht also gespannte Erwartung, wenn nach dem heutigen Spatenstich offiziell die Bagger rollen.

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie unter:http://abtei2020.kulle.design/abtei2020.html

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort