Politik rätselt über das Phänomen Pegida

Köln · Der Umgang mit dem Pegida-Bündnis stellt die Politik in Deutschland vor eine große Herausforderung. Sind die Demonstrationen rundheraus zu verurteilen oder sollte man sie inhaltlich ernst nehmen?

Fremdenfeindliche Hetzer oder verunsicherte Bürger aus der Mitte der Gesellschaft? Der wachsende Zulauf bei den Demonstrationen des umstrittenen Bündnisses "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) hat Politiker der etablierten Parteien offenbar überrascht. Denn bisher lassen sie keine einheitliche Strategie beim Umgang mit dem Phänomen erkennen. Das Bündnis protestiert seit Oktober jeweils montags in Dresden gegen eine angebliche Islamisierung des Abendlandes und für Asylrechts-Verschärfungen. Folgten anfangs nur wenige Dutzend dem Aufruf, lag die Teilnehmerzahl in Dresden vergangene Woche bereits im fünfstelligen Bereich. Gestern demonstrierten laut Polizei rund 15 000 Pegida-Anhänger. Zudem gründeten sich Ableger in mehreren westdeutschen Städten. In Bonn beispielsweise protestierten gestern einige Dutzend Rechtspopulisten. Gegenveranstaltungen ließen da nicht lange auf sich warten. Auch dafür gingen Tausende auf die Straßen.

Gibt es bei Pegida Verbindungen zu den jüngsten Aufmärschen von Hooligans und Rechtsextremen? Anders als die Gruppierung "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) tritt Pegida bürgerlich auf. Während es bei einem HoGeSa-Aufmarsch am 25. Oktober in Köln schwere Krawalle gab, distanziert sich Pegida stets von Gewaltaufrufen. Unbestritten ist, dass es sich bei einem großen Teil der Pegida-Demonstranten nicht um Schläger und aktive Neonazis handelt. Deshalb plädierten Politiker in den vergangenen Tagen wiederholt dafür, die "Sorgen" der bürgerlichen Demonstranten ernst zu nehmen.

Welche konkreten Ängste haben Politiker bei den Demonstranten ausgemacht? Dazu hat sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU ) am vergangenen Freitag nach der Innenministerkonferenz in Köln geäußert. Zwar drohe "keine Islamisierung der ganzen deutschen Gesellschaft". Manche Menschen stellten sich aber Fragen wie: Was bedeutet es für Deutschland, wenn Jahr für Jahr 200 000 Asylbewerber kommen? Ist die Kriminalitätsrate unter diesen Menschen höher? Sind Terroristen darunter? Was bedeutet es für Grundschulkinder und deren Lernerfolg, wenn zunehmend Kinder ohne Deutschkenntnisse in ihre Klasse kommen? Solche Fragen seien berechtigt, so de Maizière.

Sehen das alle Parteien so? Nein: Innenexperte Volker Beck (Grüne) mahnte zuletzt, Ressentiments bräuchten "Widerspruch statt Verständnis". Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke forderte, Pegida und HoGeSa "mit einem offensiven Werben um Solidarität mit Flüchtlingen, der Abschaffung diskriminierender Sondergesetze und einer humanen Asylpolitik" in die Schranken zu weisen.

Wie beurteilt die Bevölkerung die Pegida-Demonstrationen? Laut einer aktuellen "Focus"-Umfrage haben 53 Prozent der Ostdeutschen und 48 Prozent der Westdeutschen Verständnis für die Pegida-Proteste. Zugleich ergab eine "Spiegel"-Erhebung, dass für 65 Prozent der Bundesbürger die große Koalition nicht ausreichend auf Sorgen zu Flüchtlingspolitik und Zuwanderung eingeht. Und jeder Dritte teilte die Ansicht von Pegida, dass es eine zunehmende "Islamisierung " in Deutschland gebe.

57 Prozent mehr Asylanträge


Deutschland in Europa allerdings nur auf Platz vier

Jede Woche gehen Menschen auf die Straße, um angesichts wachsender Flüchtlingsströme „gegen die Islamisierung des Abendlandes“ zu protestieren. Was sagt eigentlich ein Blick in die Statistik zu Asylbewerbern?


Wie viele Menschen suchten in Deutschland bislang Asyl?

Seit 1953 stellten 3,5 Millionen Menschen in Deutschland einen Asylantrag, davon 2,5 Millionen seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990. Die meisten Asylanträge wurden bislang im Jahr 1992 registriert. Damals baten rund 438 000 Menschen um Schutz. Die Zahl der anerkannten Flüchtlinge hat sich von etwa 200 000 im Jahr 1997 auf rund 115 000 im Jahr 2012 nahezu halbiert. Erst in jüngster Zeit zeichnet sich wieder eine Trendwende ab.

Wie ist die aktuelle Lage?

In diesem Jahr wird mit insgesamt 200 000 Asylanträgen gerechnet. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat bis einschließlich November 181 453 Asylanträge registriert. Gemessen am Vorjahr ist das ein massiver Anstieg um 57 Prozent. 155 000 waren Erstanträge.

Woraus resultiert der Anstieg?

Eine zentrale Ursache ist der grausame Bürgerkrieg in Syrien. In den letzten drei Jahren sind deshalb etwa 3,2 Millionen Menschen in die Nachbarländer geflohen. Nach Deutschland kamen bislang mehr als 70 000 Syrer. Allein zwischen Januar und November baten rund 34 000 um Asyl - etwa drei Mal so viele wie im gleichen Vorjahreszeitraum. Auf Platz zwei der Statistik rangiert Serbien mit 15 282 Erstanträgen, was einer Steigerung um 56 Prozent entspricht. Nach einem neuen Gesetz zählt Serbien jedoch zu den sicheren Drittstaaten. Das beschleunigt die Ablehnung der Asylgesuche.

Wie lange dauern Asylverfahren?

Nach Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wurde von den im Vorjahr letztinstanzlich entschiedenen Verfahren knapp die Hälfte (45 Prozent) innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen. Zwei Drittel dauerten bis zu einem Jahr. Etwa 14 Prozent gingen bis zu zwei Jahre. In Extremfällen (1,1 Prozent der Bewerber) waren es mehr als vier Jahre. Als Flüchtling anerkannt wurde im Vorjahr nur jeder vierte Asylbewerber (24,9 Prozent). Für 2014 liegt diese Quote bis November schon bei 29,8 Prozent.

Wo steht Deutschland international?

Laut dem Statistik-Amt der EU hatte bis Mitte 2014 gemessen an der Bevölkerungszahl Schweden die meisten Asylbewerber, gefolgt von Luxemburg und Malta. Deutschland liegt an vierter Stelle der EU.

Meinung:
Demos rechts liegen lassen

Von SZ-Korrespondent Werner Kolhoff

Formiert sich mit Pegida ein Flashmob aus Wutbürgern und Rechtextremisten, aus Besorgten und Ausländerhassern? In Dresden ja. Aber eben nur dort. Woanders sind die Gegendemonstrationen viel stärker. In Dresden freilich ist es den Demonstranten für den Moment gelungen, den Montagsdemo-Mythos wiederzubeleben - allerdings als Farce. Leider haben die Medien daran einen Anteil. Keine Talkshow ohne dieses Thema. Das erst macht die kleine Schar zur "Bewegung". Und die Politik diskutiert just jetzt über Burka-Verbote und Sprachvorschriften. So etwas verstehen die Demonstranten nur als Aufmunterung. Wer es gut meint mit Deutschland und schlecht mit Pegida, der lässt diese Demos rechts liegen, hilft Flüchtlingen und sucht das Gespräch mit jenen Anwohnern, die wirklich mit Ausländern zu tun und vielleicht ein Problem haben. Und löst es dann.

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