Wenn Ausländer wieder gehen müssen

Ingelheim · Die Pflicht zur Ausreise kann mit Haft erzwungen werden, wenn ein Richter dies für geboten hält. Hinter den wuchtigen Gefängnismauern zeigen sich Mitgefühl, aber auch Tristesse und Ratlosigkeit.

 Die „Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige“ in Ingelheim, meistens kurz „Abschiebeknast“ genannt. Foto: Zschunke/dpa

Die „Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige“ in Ingelheim, meistens kurz „Abschiebeknast“ genannt. Foto: Zschunke/dpa

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Seine Zeit in Deutschland ist abgelaufen. Aber der Abschiebehäftling hat auf Russisch eine Botschaft im Andachtsraum zurückgelassen: "Ich will in jedem Teil der Welt ohne Visum leben können." Weil die Gesetze anders sind, gibt es Orte wie die Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige (GfA) in Ingelheim bei Mainz. Die Anwohner sprechen kurz vom Abschiebeknast. Das klingt so wuchtig wie die fünf Meter hohen Betonmauern der seit 15 Jahren bestehenden Anstalt direkt an der Autobahn.

Mauern und Stahltüren, Fenstergitter und Zäune schließen Menschen ein wie den Bosnier Fikret M. Der schmächtige Mann kann nur mit Schmerzen gehen. "Ich bin zum ersten Mal im Leben im Gefängnis", sagt der 53-Jährige. Warum? "Ich habe keine Ahnung. Ich wollte auf der Ausländerbehörde meine Duldung verlängern. Dann sind Polizisten gekommen und haben mich mitgenommen."

Abschiebehaft muss von einem Richter angeordnet werden. Etwa wenn der Verdacht besteht, dass sich ein ausreisepflichtiger Ausländer einer Abschiebung entziehen will. Das Aufenthaltsgesetz ist bundesweit eindeutig. Aber die Bundesländer gehen unterschiedlich damit um. Die Inhaftierung dürfe nur als letztes Mittel eingesetzt werden, betont das Mainzer Integrationsministerium. Die GfA in Ingelheim nimmt auch Abschiebehäftlinge aus dem Saarland, Hessen und Baden-Württemberg auf.

"Morgen soll ich mit dem Flugzeug nach Sarajevo gebracht werden. Aber seit dem Tod meiner Mutter habe ich nichts mehr in Bosnien." Vor seiner Ankunft in Deutschland im Herbst 2014, so erzählt der Häftling, habe er bei Ford in den USA gearbeitet, mit der Arbeitserlaubnis einer "Green Card". Nach einem Urlaub in Bosnien seien ihm bei einer Zwischenlandung in Frankfurt die Papiere gestohlen worden. Weder die US-Botschaft noch die bosnische Vertretung hätten ihm helfen können. Dann sei er zur Erstaufnahme für Asylbewerber nach Gießen gebracht worden. Fikret M. ist einer von zurzeit sechs Häftlingen in Ingelheim . Anfang des Jahres waren noch 35 der 40 Haftplätze belegt gewesen. Die Haftdauer in Ingelheim beträgt meist zwei bis drei Wochen, kann aber auch bis zu drei Monate erreichen. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Ingelheimer Häftlinge um 41 Prozent auf 232.

Nach ihrer Ankunft werden zunächst die Personalien aufgenommen und Dokumente überprüft, erklärt GfA-Leiter Stefan Mollner. Jeder Fall sei anders: "Es kommen Menschen hierher, die sind erst seit wenigen Stunden oder Tagen in Deutschland. Andere sind in Deutschland geboren und müssen die Bundesrepublik mit 18 verlassen."

Die kirchlichen Hilfswerke äußerten sich kürzlich besorgt, dass sich bei der Überprüfung wiederholt zeige, dass die Anordnung zur Abschiebehaft juristisch nicht haltbar sei. Es sei bitter, dass der Bundesgerichtshof in vielen Fällen nachträglich festgestellt habe, dass eine Abschiebehaft unrechtmäßig gewesen sei, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. "Da war es aber um das Freiheitsgrundrecht schon geschehen." Die auf zwei Etagen untergebrachten Zellen sind jeweils 15 Quadratmeter groß. Der Raum bietet Platz für ein Bett. Gegenüber steht ein halbhohes Regal mit einem Wasserkocher und einem TV-Gerät, daneben ein Kleiderschrank, in freundlichem Grün gestrichen.

"Das Bett ist gut, das Essen ist normal", sagt Fikret M. Er hoffe, dass er vor seiner Abschiebung nochmal mit einem Arzt sprechen könne. Zweimal in der Woche gibt es im Gefängnis eine ärztliche Sprechstunde. Von einer Schwester der kleinen Krankenstation hat Fikret M. Tabletten gegen seine Rückenschmerzen bekommen. Gegen Traurigkeit helfen die Tabletten nicht. "Natürlich kann Haft per se psychisch krank machen", sagt Mollner zur Kritik der kirchlichen Hilfswerke. "Es wird viel getan, damit dieses psychische Loch nicht entsteht." Dazu gehört das Angebot von Tätigkeiten wie Rasenmähen oder das Gärtnern im kleinen Gefängnisgarten. Inhaftierte Asylbewerber bekommen ein Taschengeld von 23,30 Euro pro Woche. Damit können sie im kleinen Kiosk einkaufen, der jeden Donnerstag geöffnet hat und Hygieneartikel, Süßigkeiten oder Zigaretten anbietet.

Solche Abwechslung kann aber nur kurz helfen. Bei seinen Begegnungen mit den Häftlingen hat Andreas Kreiner-Wolf von der Beratungsstelle beobachtet, "dass die Menschen ihren Aufenthalt hier nicht leicht verkraften, denn sie fühlen sich nicht als Verbrecher". Die Abschiebehaft ist oft Endstation der langen Suche nach einem besseren Leben. Statt Sicherheit fanden die Menschen oft nur prekäre Räume zwischen Illegalität und Obdachlosigkeit. "Das geht an ihnen psychisch nicht spurlos vorüber, auch leidet ihre körperliche Gesundheit in dieser scheinbar ausweglosen Lage", sagt Kreiner-Wolf.

Zum Thema:

Hintergrund Im Saarland gab es im Vorjahr 334 Abschiebungen , 2014 waren es 279. Für das laufende Jahr konnte das Innenministerium gestern keine Angaben machen. Aufregung gab es vor Tagen um die Landtagsabgeordnete Birgit Huonker (Linke), die der Polizei im Zusammenhang mit der Abschiebung einer Syrerin und deren Kindern "Gestapo-Methoden" vorgeworfen hatte. Laut Ausländerzentralregister waren Ende 2015 1792 ausreisepflichtige Ausländer im Saarland gemeldet. 1560 davon waren im Besitz einer Duldung. Dies bedeutet nach Darstellung des Innenministeriums nicht, dass sie sich alle noch im Saarland aufhalten. Vielmehr sei davon auszugehen, dass ein Großteil Deutschland freiwillig verlassen habe. tho

Minister fordert mehr Abschiebungen



Regierung will im Anti-Terror-Kampf Datenaustausch mit Ausland verstärken

Nach den Anschlägen in Paris und Brüssel einigten sich die Spitzen der Koalition auf Maßnahmen im Anti-Terror-Kampf. Gestern hat Innenminister Thomas de Maizière (CDU) dem Kabinett nun den notwendigen Gesetzentwurf vorgelegt. Er bringt Einschränkungen für alle Bürger mit sich. Zugleich präsentierte der Minister einen Bericht zum Stand der Abschiebungen.

Wie stellt sich die Lage bei den Abschiebungen dar?

Bis Ende April wurden 9280 Asylbewerber aus Deutschland abgeschoben, weitere 20 197 kehrten freiwillig in ihre Herkunftsstaaten zurück. Ausreisepflichtig waren Ende März 219 241 Personen, wobei etwa 168 000 von ihnen zumindest vorübergehend eine Duldung besaßen. Der Innenminister bemängelt unter anderem, dass die zuständigen Länder zu wenig Personal einsetzen und Tempo bei den Abschiebungen missen lassen.

Worauf müssen sich die Bürger im Kampf gegen den Terrorismus einstellen?

Der Kauf einer Prepaid-Karte für ein Handy wird künftig deutlich schwerer. So will de Maizière eine Ausweispflicht einführen. Das heißt, ohne die Vorlage eines entsprechenden Dokuments gibt es keine Prepaid-Karte mehr. Kunden, die schon eine haben, müssen diese aber nicht erneut registrieren.

Warum greift der Innenminister zu diesem Mittel?

Zwar müssen Anbieter bereits heute Daten wie Name, Anschrift und Geburtsdatum von Prepaid-Kunden erheben. Die Prüfung der Identität funktioniert aber offenkundig nicht. "Sie können heute unter dem Namen Donald Duck ein Prepaid-Handy kaufen", so de Maizière. Polizei und Geheimdienste beklagen, dass Terrorverdächtige solche Handy-Karten bislang anonym nutzen können.

Was soll bei den Behörden besser werden?

Vor allem die Kommunikation der Sicherheitsdienste. Nach den Terroranschlägen war vielfach kritisiert worden, dass der Austausch europaweit nicht richtig funktioniert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll daher gemeinsame Dateien mit "wichtigen ausländischen Nachrichtendiensten" aus EU- oder Nato-Ländern einrichten und betreiben können.

Welche Befugnisse erhält die Bundespolizei?

Bundeskriminalamt und die Polizeien der Länder dürfen schon lange verdeckte Ermittler gegen die Organisierte Kriminalität oder den Drogenhandel einsetzen. Das soll künftig auch der Bundespolizei erlaubt werden, um an sicherheitsrelevante Erkenntnisse zu gelangen. has
Meinung

Asyl nur für Verfolgte

Von SZ-Redakteur Jörg Wingertszahn

Wer in Deutschland Asyl beantragt, muss einkalkulieren, dass sein Antrag nach sorgfältiger Prüfung aller Umstände abgelehnt wird. Die fällige Konsequenz ist die Ausreise. Wer das nicht freiwillig tut und sich weigert, muss mit seiner Abschiebung rechnen. Auch das ist nur konsequent. Dass die rechtstaatlichen Regeln dabei eingehalten werden, ist eine Selbstverständlichkeit. Das Recht auf Asyl soll denjenigen vorbehalten bleiben, die in ihrer Heimat Verfolgung, Folter und Tod erwarten. Für alle anderen, die vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen kommen, müssen andere Möglichkeiten der Einwanderung gefunden werden - ohne Garantie auf Aufnahme.

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