„Der Staat hat am Sterbebett nichts zu suchen“

Sein Buch „Demenz“ über die Krankheit seines Vaters, des Schriftstellers Walter Jens, erregte großes Aufsehen. Mit „Du sollst sterben dürfen“ will Tilman Jens dazu beitragen, die Debatte über den Tod zu enttabuisieren. SZ-Redakteurin Stefanie Marsch sprach vor der Entscheidung des Bundestages über die Sterbehilfe mit dem Journalisten und Autor.

 Die meisten Deutschen wollen Umfragen zufolge einem todkranken Menschen, der zum Beispiel an Krebs leidet, die Freiheit lassen, sein Leiden zu beenden. Foto: Fotolia

Die meisten Deutschen wollen Umfragen zufolge einem todkranken Menschen, der zum Beispiel an Krebs leidet, die Freiheit lassen, sein Leiden zu beenden. Foto: Fotolia

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Herr Jens, dem Bundestag liegen vier Gesetzentwürfe zum Thema Sterbehilfe vor. Bis zuletzt schien derjenige am meisten Unterstützer zu haben, der Beihilfe zum Suizid zwar nicht grundsätzlich strafbar machen, aber die geschäftsmäßige Sterbehilfe verbieten will. Wie stehen sie dazu?

Jens: Ich halte diesen Entwurf für völlig falsch. Was bedeutet denn geschäftsmäßig? Das ist viel zu vage. Wenn also ein Arzt einmal einem Patienten in einer Notsituation hilft, ist ihm die Menschlichkeit durchgegangen. Wenn er es aber dreimal tut, macht er sich strafbar. Das ist doch absurd. Außerdem würde so der offene, vertrauensvolle Dialog zwischen Patient und Arzt in hohem Maße gefährdet. Schon das Gespräch über assistierten Suizid wäre inkriminiert, weil damit ja der Gedanke des tatsächlichen Tuns verbunden ist. Das finde ich schrecklich, so treibt man die Leute auf die Bahngleise.

Sie glauben also, dass Menschen sich auf andere Weise umbringen, wenn die Politik rechtliche Verschärfungen bei der Sterbehilfe beschließt?

Jens: Schauen Sie sich den Fall des Schriftstellers Erich Loest an. Er war schwer krank und hatte eine große Operation vor sich. Er stürzte sich aus dem zweiten Stock eines Leipziger Krankenhauses. Das finde ich schrecklich. Er war ein großer Freiheitskämpfer - warum konnte er nicht selbst festlegen, nach einem Gespräch mit seinem Arzt und einem Psychologen, dass er nicht mehr will?

Gibt es einen Gesetzentwurf, dem Sie zustimmen würden?

Jens: Von den vieren wäre mir der Antrag der Gruppe um Grünen-Politikerin Renate Künast noch am nächsten. Er betont die Straffreiheit für Hilfe zur Selbsttötung. Doch am liebsten wäre es mir, die aktuelle Rechtslage würde gar nicht verändert. Ich persönlich würde neben der Beihilfe zum Suizid sogar unter ganz strengen Auflagen die aktive Sterbehilfe legalisieren. Das ist aber mit der Politik, der Kirche und der Medizinindustrie nicht zu machen. Insofern sollte man den Status quo erhalten.

Die meisten Deutschen sind dafür, dass ein unheilbar kranker Mensch die Möglichkeit hat, sein Leiden zu beenden. Aber so klar sind nicht alle Fälle. Was ist mit jemandem, der vom Hals ab gelähmt ist und so nicht leben möchte? Oder mit Alzheimer-Patienten? Wo zieht man da eine Grenze, um einen Menschen womöglich auch vor sich selbst zu schützen?

Jens: Der Staat hat keine Grenzen zu setzen. Er hat am Sterbebett nichts zu suchen. Wenn jemand wohlüberlegt seinem Leben ein Ende setzen will, dann soll er das in würdigen Umständen tun können. Es ist eine unglaublich komplizierte Debatte mit vielen Graubereichen. Aber sie ist nicht durch Verbote zu bewältigen. Es bleibt ein Gewissensentscheid eines freien, mündigen Bürgers.

Werden die Graubereiche bei der Sterbehilfe immer bleiben, egal wie viel man regelt?

Jens: Ja, das werden sie. Und man kann es ohnehin nicht eindämmen. Die Grenzen sind ja offen. Die einen fahren in die Niederlande, die anderen in die Schweiz. Das ist ja schon fast ein fester Begriff geworden. In die Schweiz fahren - nicht mehr zum Skifahren, sondern zum Sterben. Wollen Sie die Grenzen dichtmachen? Das ist doch Humbug. Ich denke auch, es geht um etwas anderes. Das Gros der Einnahmen des Krankenpflegesystems wird in den letzten beiden Lebensjahren gemacht. Bei vielen steckt hinter der Argumentation, das Leben schützen zu wollen, also der Gedanke ans Geld.

Für viele Menschen ist der Tod ein Tabuthema. Deshalb ist nicht nur die Debatte über Sterbehilfe , sondern zum Beispiel auch die über Organspende sehr schwierig. Wie lässt sich das ändern?

Jens: Wenn wir kirchlich heiraten, sagen wir "bis dass der Tod uns scheidet". Aber wir wissen alle viel zu wenig über die Ängste, Wünsche und Hoffnungen unserer Nächsten, was das Sterben betrifft. Es müsste beinahe schon ein Schulfach "Reden über den Tod" geben. Wir müssen die Angst vor dem Thema überwinden und ganz konkret darüber reden, wie wir selbst, unser Partner, unsere Eltern sterben wollen.

Zum Thema:

HintergrundDie aktuelle Rechtslage:Aktive Sterbehilfe : Sie ist in Deutschland strafbar.Passive Sterbehilfe : Gemeint ist der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Laut Bundesgerichtshof dürfen Ärzte die Maßnahmen auch dann abbrechen, wenn der Patient noch nicht kurz vor dem Tod steht. Sie müssen sie abbrechen, wenn der Patient das will.Indirekte Sterbehilfe : Die Verabreichung starker Schmerzmittel, deren Wirkung auf geschwächte Organe das Leben verkürzen kann, ist nicht strafbar, wenn dies dem Willen eines extrem leidenden, sterbenden Menschen entspricht.Beihilfe zum Suizid: Suizid und Beihilfe zum Suizid sind nicht strafbar. Vier Gesetzentwürfe zur Neuregelung:- Eine Koalitionsgruppe um Peter Hintze (CDU ) und Karl Lauterbach (SPD ) will für sterbenskranke, schwerst leidende Menschen die Möglichkeit des ärztlich begleiteten Suizids schaffen.- Eine fraktionsübergreifende Gruppe um Michael Brand (CDU ), Kerstin Griese (SPD ), Kathrin Vogler (Linke) und Elisabeth Scharfenberg (Grüne) will die geschäftsmäßige, auf Wiederholung angelegte Förderung der Sterbehilfe unter Strafe stellen. Ansonsten sollen die bisherigen Regelungen gelten.- Eine Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) betont die Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid. Sie will aber Beihilfe zur Selbsttötung "aus Gründen des eigenen Profits" bestrafen. Sterbehilfevereine sind danach erlaubt, sofern sie keinen Profit erzielen wollen.- Eine Gruppe um Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU ) will "Anstiftung und Beihilfe an einer Selbsttötung" verbieten. Nur in extremen Ausnahmefällen solle dies straffrei bleiben. dpa

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