Wie die Jugend Europa retten soll

Brüssel · Wenige Wochen vor dem Sondergipfel der EU-Mitgliedstaaten in Bratislava wendet sich eine Initiative an die Staats- und Regierungschefs. Sie fordert einen stärkeren Fokus auf Jugendliche im Fahrplan für Europa.

Es ist ein offener Brief, mit dem sich mehrere ehemalige und derzeitige Europapolitiker, Gewerkschafter, Wissenschaftler, Filmemacher und Schriftsteller an jene drei Staats- und Regierungschefs wenden, die am Montag auf der italienischen Insel Ventotene zusammentreten: Ministerpräsident Matteo Renzi hat den französischen Staatschef François Hollande sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel dorthin eingeladen. Es ist ein Vorgespräch vor dem informellen Sondergipfel in Bratislava in drei Wochen, bei dem diskutiert werden soll, wie es in Europa ohne Großbritannien weitergeht.

Der offene Brief fordert die Staats- und Regierungschefs dazu auf, "die junge Generation in den Mittelpunkt eines Neustarts für Europa zu stellen". Sie sei "der Schlüssel zum Erfolg", schreiben die Unterzeichner, zu denen neben dem Vorsitzenden des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament, Elmar Brok (CDU ), dem Fraktionschef der Liberalen, Guy Verhofstadt, auch der ehemalige französische Außenminister sowie der zukünftige Beauftragte der EU-Kommission für die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien, Michel Barnier , zählen.

Die Idee ist nicht neu, soll nun aber neuen Aufwind bekommen. Mit einer Europäischen Jugendinitiative, so die Hoffnung der Verfasser, könne man die nächste Generation wieder für die Gemeinschaft gewinnen. Dies sei "dringend notwendig, um dem auch unter Jugendlichen wachsenden Nationalismus entgegenzuwirken", sagt Mitunterzeichner und Europapolitiker Jo Leinen (SPD ). Denn, so Leinen weiter, "dieser neue Populismus ist mittlerweile eine reelle Gefahr für die Idee der europäischen Einigung".

Dabei glauben vier von fünf Jugendlichen laut einer Umfrage von Eurostat aus dem Jahr 2015 an die EU. Was ihnen fehlt, ist eine Perspektive. Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen ist vor allem in südeuropäischen Ländern noch immer sehr hoch. In Griechenland waren im Vorjahr 49,8 Prozent der 15- bis 24-Jährigen ohne Job, in Spanien betraf dies 48,3 Prozent, in Italien mehr als 40 Prozent, in Portugal blieb fast jeder dritte Jugendliche ohne Perspektive. Aber auch im Norden Europas ist die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen ein Problem. In Belgien waren 2015 rund 22 Prozent arbeitssuchend, in Frankreich 24,7 Prozent. "Die europäische Jugend sucht nach Idealen", schreiben die Verfasser des offenen Briefs: "Fehlen diese, lauern die Versuchungen von radikalen Ideologien, wie etwa der religiöse Fanatismus oder populistische Strömungen."

Um dem entgegenzuwirken, sollen Jugendliche stärker gefördert werden - und zwar gleich dreifach. Bislang falle der Schulunterricht in Sachen Europakunde sehr unterschiedlich aus. Hier soll eine gemeinsame Grundlage geschaffen werden - durch ein Fach "Europa", das in allen Mitgliedstaaten unterrichtet wird. Bildung aber fällt traditionell in die Entscheidungsgewalt der EU-Länder selbst - eine solche Verpflichtung könnte also allenfalls freiwillig eingegangen werden. Um Europa erfahrbarer zu machen, fordern die Unterzeichner des Briefs zudem ein breiteres Angebot an Auslandsaufenthalten - über eine Erweiterung des bisher Studenten vorbehaltenen Erasmus-Programms, die aus dem EU-Budget finanziert werden soll. Darüber hinaus will man neue Berufsbilder stärker fördern, etwa im IT-Bereich.

Meinung:

Perspektive bieten

Von SZ-Korrespondentin Mirjam Moll

Perspektivlosigkeit ist gefährlich. Wer sich nicht in die Gesellschaft eingegliedert fühlt, in der Schule nicht gefördert wird und auf dem Arbeitsmarkt chancenlos bleibt, ist empfänglicher für die Botschaften hetzender Populisten oder religiöser Fanatiker. Es gilt Perspektiven zu schaffen - für alle jungen Menschen in Europa. Das fängt in der Schule an und muss mit einer besseren Verzahnung zwischen den Bildungsstätten und dem Arbeitsmarkt weitergehen. Die Idee einer umfassenden europäischen Jugendinitiative mag nicht neu sein. Umso wichtiger wäre es, sie nun umzusetzen. Auch um den bisher noch großen Glauben der Jugendlichen an Europa nicht zu enttäuschen.

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