Wie ein Trainer im Abstiegskampf

Berlin · Neuer Tiefschlag für die SPD: Erstmals sind die Sozialdemokraten in einer Umfrage unter die Marke von 20 Prozent gerutscht. Die Partei rätselt über die Gründe und über einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma? Gabriel soll jedenfalls erstmal Chef bleiben.

 Ist er an allem schuld? Parteichef Sigmar Gabriel ist in der SPD sehr umstritten. Foto: dpa

Ist er an allem schuld? Parteichef Sigmar Gabriel ist in der SPD sehr umstritten. Foto: dpa

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Eineinhalb Stunden hat die SPD-Bundestagsfraktion gestern über die fast schon verzweifelte Lage der Partei diskutiert, nachdem die Umfragewerte auf 21 Prozent und bei einem Institut sogar auf 19,5 Prozent gefallen sind. Parteichef Sigmar Gabriel äußerte in der sehr offenen Aussprache Verständnis für Debatten um ihn, sagte aber unter Hinweis auf parallele Rückgänge bei der CDU , er glaube nicht, dass das Problem beim Personal liege. Die Flüchtlingsfrage und die AfD sind für den Vizekanzler die Hauptgründe der Misere.

Hinter den verschlossenen Türen des Fraktionssaals fielen drastische Worte. "Das geht einem doch nicht am A... vorbei", sagte Gabriel dem Vernehmen nach gleich zu Beginn mit Blick auf die neuen Zahlen. Als Fußballfan wisse er, was passiere, wenn die Mannschaft abstiegsbedroht sei. Dann werde über den Trainer diskutiert. Man könne ihm aber glauben, dass sich keiner so sehr auch mit der eigenen Rolle kritisch beschäftige wie er selbst. Als er dafür spontanen Beifall erhielt, fügte er hinzu, dass sei nicht die Ankündigung eines Rücktritts, obwohl er sich gefragt habe, ob der SPD damit geholfen wäre.

Tatsächlich will derzeit niemand in der SPD einen Führungswechsel, auch wenn die Strahlkraft Gabriels erheblich verblasst ist. Das hatte man am Samstag bei einem Parteitag der niedersächsischen SPD in Braunschweig sehen können, wo Gabriels gut 50-minütige Rede überhaupt nicht zündete. Aber bei den Treffen der einzelnen Landesgruppen am Montagabend in Berlin hieß es unisono, dass ein neuer Vorsitzender die Wende auch nicht bringe.

So berichtete der bayerische SPD-Abgeordnete Ewald Schurer, unter den 20 Teilnehmern der Sitzung seiner Landesgruppe habe niemand Gabriels Zukunft thematisiert. Schurer: "Das würde auch weder der Wahrheit über die Ursachen entsprechen, noch wäre es die richtige Antwort." Bei den Nordrhein-Westfalen, der stärksten Landesgruppe, gab Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ein klares Votum für Gabriel ab. Insgesamt habe eine offensive Stimmung nach dem Motto "Das wollen wir doch mal sehen" geherrscht, wurde aus der Sitzung berichtet. In Nordrhein-Westfalen wird nächstes Jahr im Mai gewählt. Gabriel sagte, beide Volksparteien hätten inzwischen rund ein Fünftel eingebüßt. Viele hätten derzeit "einfach die Schnauze voll von Politik".

Ähnliches geschehe in Frankreich. Die Flüchtlingskrise und die Niedrigzinspolitik der EZB seien dafür der Hintergrund. Die AfD greife diese Themen geschickt auf. Gabriel appellierte an die Abgeordneten, die SPD müsse wieder die "Schutzmacht der kleinen Leute" sein und ihre diesbezüglichen Leistungen "vielleicht mehr als bisher" herausstellen. Er nannte als Beispiele unter anderem die Solidarrente, das Teilhabegesetz und die Leiharbeit. Es gab in der Debatte keinen einzigen kritischen Redner. Fraktionschef Thomas Oppermann mahnte, sich jetzt nicht zu zerfleischen. Man müsse sich allerdings auch "unterscheidbar" machen von der Union. Das werteten Teilnehmer als die Ankündigung, in der Koalition nun härter aufzutreten, etwa bei der Erbschaftssteuer.

Der Sprecher des Seeheimer Kreises der Parteirechten, Johannes Kahrs , sagte auf Anfrage, den Menschen müsse stärker erklärt werden, was die SPD unter Gabriels Führung alles erreicht habe. "Wir haben ein Vermittlungsproblem", räumte Kahrs ein. Ähnlich äußerte sich Wolfgang Thierse , lange Jahre Bundestagsvizepräsident. Die SPD solle sich "nicht ins Bockshorn jagen lassen", sagte Thierse unserer Zeitung. Sie mache gute Regierungsarbeit und müsse nur ihre Erfolge stärker deutlich machen. Thierse: "Personaldebatten helfen niemandem."

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