Die „Umvolkung“ der Bettina Kudla

Berlin · Einige blinken ganz offensichtlich rechts, andere greifen Merkels Politik offensiv an: In der Union twittert so mancher Parteirebell Fragwürdiges. Ein Missverständnis oder doch kalkulierte Provokation?

 Bisher ist Bettina Kudla in der CDU kaum aufgefallen. Nach ihrem Nazi-Tweet spricht ganz Deutschland über sie. Foto: Chaperon/dpa

Bisher ist Bettina Kudla in der CDU kaum aufgefallen. Nach ihrem Nazi-Tweet spricht ganz Deutschland über sie. Foto: Chaperon/dpa

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Bis vor gut einer Woche musste man nicht unbedingt wissen, was genau "Umvolkung" eigentlich bedeutet. Jetzt wissen viele: Mit "Umvolkung" war im Nationalsozialismus die sogenannte Germanisierung deutschfreundlicher Bevölkerungsgruppen in eroberten Gebieten Osteuropas gemeint - ein Nazi-Propagandabegriff also. Und bis vor gut einer Woche musste man auch nicht unbedingt wissen, wer Bettina Kudla ist. Auch das hat sich geändert: Bettina Kudla, das ist eine Leipziger CDU-Bundestagsabgeordnete. Was die beiden verbindet, ist ein Tweet auf Twitter .

Kudla kritisierte im Netzwerk mit dem Nazibegriff die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU ). Die Empörung war groß, "unerträglich" sei das, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU ). Doch nicht nur Kudla fällt in der Union mit rechtspopulistischen oder unionskritischen Tweets auf. Ist die kalkulierte Provokation von rechts ein Trend in der Union?

"Die Union hat in der Vergangenheit auch Erfolg gehabt, weil sie Konflikte innerparteilich gelöst hat", sagt der Hamburger Politikberater Martin Fuchs. In der Flüchtlingskrise und mit dem Erstarken der AfD mache sich Unzufriedenheit in der Partei breit. "Die Leute werden nervös, sie haben nicht die Ruhe, die die Kanzlerin ausstrahlt." Parteirebellen im Netz seien zwar kein reines Unions-Phänomen, aber ihre Mitglieder hätten teilweise nicht mehr das Vertrauen in die Parteiführung. Twitter sei dann eine Chance, gerade für die Politiker, die nicht in der ersten Reihe stehen, ihre Meinung zu platzieren. Fuchs nennt als Beispiel Erika Steinbach , die regelmäßig solche Tweets absetzt. Mal vergleicht sie die Politik der Regierung indirekt mit einer Diktatur, dann twittert sie ein Bild, das ein blondes Kind umringt von dunkelhäutigen Menschen zeigt. Darüber steht: "Deutschland 2030". Provokation pur.

Mit der anschließenden Empörungswelle, so Fuchs, könne man sicher sein, einem Minderheitenthema in der Partei Aufmerksamkeit zu verschaffen. Und Kudla? Was sie zu dem Tweet bewog, bleibt unklar. Aber: "Ich kann mir gut vorstellen, dass so ein Tweet bei der Basis in Sachsen auch gut ankommt", sagt Fuchs. Und: "Politiker lernen natürlich auch aus Erfolgen von populistischen Parteien wie der AfD." Die Partei macht immer wieder mit Skandal-Tweets von sich reden. Außerdem haben soziale Netzwerke einen entscheiden Vorteil gegenüber Interviews oder Pressemitteilungen "Man kann sagen, dass Twitter ein Ventil ist, sich der von der Partei beziehungsweise Fraktion vorgegebenen Kommunikationslinie zu entziehen", sagt Leonard Novy, Leiter des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin . Twitter und andere soziale Netzwerke seien eine Möglichkeit, in Echtzeit und ohne redaktionelle Eingriffe und kritisches Hinterfragen wichtige Zielgruppen zu erreichen. Der Tweet werde schließlich zum Gegenstand massenmedialer Kommunikation.

So twitterte etwa Markus Söder (CSU ) nach den Anschlägen in Paris im November 2015: "Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen". Er kritisierte damit indirekt die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU ) schlug dem "#Merkel-Flügel" auf Twitter vor, sich ins rot-grüne Team zu verabschieden. Friedrich macht sich im Netz so sehr Luft, dass einige dahinter zunächst einen Satire-Account vermuteten.

Solche populistischen Statements erregen viel Aufmerksamkeit. Deshalb warnt der Hamburger Medienforscher Steffen Burkhardt auch davor, diese Tweets als "Fettnäpfchen" abzutun. Vielmehr handele es sich meist um eine "gezielte Strategie". Twitter sei eine "Hintertür des Populismus", adressiert an Journalisten und andere Meinungsführer, die sich dort tummeln. Man könne mit einer Verstärkung der Botschaft rechnen, weil viele Menschen diese Botschaft weitertragen. "Der politische Tabubruch ist einkalkuliert."

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