„Politik sollte in einer Demokratie populär sein“

Berlin · Sahra Wagenknecht provoziert Teile der Linken mit ihren Thesen zur inneren Sicherheit. Die Parteiführung erklärt den Streit zwar für beendet. Doch ob das ambitionierte Wahlprogramm die Risse kitten kann, ist fraglich.

Offiziell sieht der Parteichef seinen Konflikt mit Sahra Wagenknecht ausgeräumt. "Für uns ist der beendet", sagt Linke-Chef Bernd Riexinger . "Wir werden geschlossen in den Wahlkampf gehen und vorher am Wochenende gemeinsam auftreten." Heute Abend trifft sich die Linke in Berlin zu ihrem zweitägigen politischen Jahresauftakt. Morgen präsentiert die Parteiführung ihren Entwurf fürs Wahlprogramm. Brechen dann die Risse zwischen Parteispitze und Spitzenkandidatin trotz Beschwörung von Einigkeit erneut auf?

Bei den Linken brodelt ein Flüchtlingsstreit, eine kleine Variante des Konflikts in der Union. Teile der Partei fühlen sich durch Wagenknechts Positionen zu Schutzsuchenden und Sicherheit provoziert. Mal favorisiert sie EU-Kontingente für Asylbewerber, mal spricht sie von "Gefahrenpotenzialen" durch Flüchtlinge. Eskaliert ist das Ganze, als die Spitzenkandidatin Kanzlerin Angela Merkel mitverantwortlich für den Berliner Terroranschlag machte - unter anderem wegen "der unkontrollierten Grenzöffnung". Riexinger gab öffentlich zu Protokoll: "Wir kritisieren Frau Merkel nicht dafür, dass sie die Grenzen nicht geschlossen hat." Die Linke habe eine klare Position, "an die sich auch Frau Wagenknecht halten muss".

Im Programmentwurf findet sich diese wieder: "Die Grenzen Europas müssen für schutzsuchende Menschen offen sein, es muss sichere und legale Fluchtwege geben." Parteistrategen fürchten, Wagenknecht könnte junge Wähler verschrecken, die eher Flüchtlingshelfer als -kritiker sind. Die Fraktionschefin will erklärtermaßen der AfD Wähler abspenstig machen.

Ein rot-rot-grünes Bündnis - in Umfragen ohnehin ohne Mehrheit - scheint durch den Kurs der Wahl-Saarländerin nicht einfacher zu werden. Bei der politischen Konkurrenz waren die Reaktionen auf Wagenknechts Ursachenanalyse zum Berliner Anschlag eindeutig. Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD , Johannes Kahrs , schloss ein rot-rot-grünes Bündnis mit ihr aus. Im Umfeld der Spitzenkandidatin gibt man sich entspannt. Die Positionen seien doch eigentlich gar nicht so unterschiedlich, heißt es dort.

Auf dem linken Kernfeld des Sozialen fällt den führenden Köpfen ein gemeinsamer Tenor auch nicht schwer. Riexinger kündigt an: "Unser Programmentwurf wird deutlich machen, dass wir einen Bruch mit der Politik der letzten 25 Jahre wollen und einen Aufbruch in eine Politik der sozialen Gerechtigkeit." Ein herausragender Punkt: Alle, die weniger als 70 000 Euro zu versteuern haben, sollen entlastet werden. Dafür soll es eine Reichensteuer in zwei Stufen geben: 60 Prozent ab rund 260 000 Euro Einkommen und 75 Prozent ab einer Million Euro. Doch gibt es wirklich einen Wahlkampf vor allem ums Soziale, wie es sich die Linken wünschen mögen? Momentan sieht es eher nach innerer Sicherheit als Hauptthema aus. Und dass Wagenknecht ihre Tonlage dabei ändert, erwarten Beobachter nicht. Den Vorwurf, selbst populistisch aufzutreten, lässt Wagenknecht nicht gelten: "In einer Demokratie sollte Politik populär sein."

Meinung:

Sahras Süppchen

Von SZ-Redakteurin Iris Neu-Michalik

Wie heißt es doch: Die Extreme berühren sich oft. AfD und Linke vereint beim Thema Migration? Solcher Ruch stößt dem Gros der Linkspartei allerdings bitter auf. Doch die schillernde Spitzenkandidatin schert sich nicht um Ermahnungen, nicht um Standpauken. Schon immer holte sie - auch oder gerade zur Unzeit (Wahlkampf ) - zum verstörenden Tusch aus. Freilich ihrem eigenen Profil zuliebe, nicht dem ihrer Partei. Wagenknecht ist keine Teamplayerin. Sie lässt sich nicht zurückpfeifen, auch wenn sie damit den Ihren die Tour vermasselt. Das aber hätte der Linkspartei längst klar sein müssen, bevor sie sie zur Kandidatin kürte.

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