Das Urteil

Berlin · Die Kleinstadt Lübtheen in Mecklenburg (5000 Einwohner) ist eine Hochburg der NPD, wie mehrere Orte in Ostdeutschland. Was das Karlsruher Urteil dort nun bedeutet, hat SZ-Korrespondent Werner Kolhoff die Bürgermeisterin Ute Lindenau (SPD) gefragt.

 Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe entschied gestern gegen ein Verbot der rechtsextremen NPD. In der Mitte Peter Müller, neben ihm Präsident Andreas Voßkuhle. Fotos: Deck/dpa

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe entschied gestern gegen ein Verbot der rechtsextremen NPD. In der Mitte Peter Müller, neben ihm Präsident Andreas Voßkuhle. Fotos: Deck/dpa

Frank Franz sieht nicht aus, als hätte er eine Ohrfeige kassiert. Er strahlt. "Natürlich sind wir zufrieden", sagt der Saarländer, der Bundesvorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD ) ist. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade entschieden, dass die NPD nicht verboten wird. Zwei Stunden lang haben drei Verfassungsrichter die Urteilsbegründung verlesen, knapp 300 Seiten. Darin heißt es, die NPD werde nicht verboten, weil sie unbedeutend und bei Wahlen anhaltend erfolglos ist. So wie die NPD derzeit aufgestellt sei, hält es das Bundesverfassungsgericht für ausgeschlossen, dass sie ihre Ziele, die klar verfassungsfeindlich sind, überhaupt erreichen kann.

Franz - der früher für die NPD im Völklinger Stadtrat saß - ist also Vorsitzender einer Partei, die politisch keine Rolle spielt. Das höchste deutsche Gericht sagt, die NPD sei zwar gefährlich, aber ein Zwerg, zu klein zum Verbieten. Das klingt nach Ohrfeige. Franz will davon aber nichts wissen. Den Niedergang seiner Partei begründet er mit diesem Verfahren. Nun stehe man vor einem Neuanfang.

Wenige Meter weiter ist auch Lorenz Caffier (CDU ) um Optimismus bemüht. Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern war bis zuletzt davon überzeugt, dass die NPD verboten wird. Von einer Niederlage will er jetzt nichts wissen. Blamage? "Überhaupt nicht", wehrt Caffier ab. Schließlich habe das Gericht bestätigt, dass die NPD verfassungsfeindlich ist. Dass die Richter die Frage, ob die NPD auch eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung ist, verneinten, müsse man nun akzeptieren. Trotzdem sei es richtig gewesen, einen zweiten Verbotsantrag zu stellen. Ähnlich sehen es gestern viele Politiker - wenn auch großer Frust herrscht.

Vor drei Jahren hatten die Bundesländer den zweiten Anlauf für ein NPD-Verbot gestartet. Zehn Jahre nach der ersten krachenden Niederlage sahen dies in der Bundesregierung viele als gewagt an. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU ) und der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU ) zögerten lange, denn das deutsche Recht setzt hohe Hürden für ein Parteiverbot. Ende März 2013 stand dann fest: Die Bundesregierung stellt keinen eigenen Antrag. Die Länder standen alleine da. Nun scheitert also auch ihr Versuch.

Andreas Voßkuhle , der Präsident des Verfassungsgerichts, warnte gestern allerdings davor, das Urteil zu unterschätzen. Wert und Bedeutung des Verfahrens sollten nicht allein vom Ergebnis her beurteilt werden. Es sei schließlich nach dem frühzeitig gescheiterten ersten NPD-Verbotsantrag gar nicht klar gewesen, ob Parteiverbotsverfahren überhaupt noch durchführbar seien. Dies habe man nun klargestellt und Maßstäbe entwickelt für künftige Verfahren. Das Parteiverbot bleibe eine Waffe der wehrhaften Demokratie . Mahnend geriet schon sein Eingangssatz zur Urteilsverkündung: "Das Ergebnis des Verfahrens mag der eine oder andere als irritierend empfinden."

Als kein Verbot - genau wie 2003. Und doch auch nicht. Als damals der erste Versuch, die NPD in Karlsruhe verbieten zu lassen, gegen die Wand fuhr, war nicht nur der politische Schaden groß. Auch der Senat des Gerichts blieb tief gespalten zurück über die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn Informanten des Verfassungsschutzes in der Partei eine objektive Beweisaufnahme unmöglich machen. Diesmal stehen die Richter in ihrem Urteil einstimmig zusammen, und die Bundesländer können als Achtungserfolg verbuchen, dass das NPD-Verbot kein zweites Mal an der V-Leute-Frage scheitert.

War der zweite Anlauf also ein Fehler oder nicht? Klar ist: Das Verfahren hat eine Partei nach vorne geschoben, die dabei war, sich durch interne Querelen selbst zu zerlegen. Eine Partei, die in Wahlen marginalisiert wurde. Klar ist aber auch: Die Energie der Länder galt dem Kampf gegen das politische Gesicht des Rechtsextremismus. Und das war nun einmal lange die NPD . Entsprechend verteidigte Bundesratspräsidentin Malu Dreyer (SPD ) das Vorgehen (zu Reaktionen siehe Text unten).

Einen möglichen Hebel im Kampf gegen Rechts liefert Karlsruhe gestern übrigens auf dem Silbertablett mit. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass es noch "andere Reaktionsmöglichkeiten" als ein Verbot gebe - etwa den Entzug der Parteienfinanzierung. So könnte der Staat der ohnehin schon klammen NPD zumindest finanziell doch noch beikommen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU ) greift die Vorlage schnell auf. Der Bundestag müsse dies nun prüfen. Das Thema NPD ist doch noch nicht erledigt.

"Die NPD wird sich bestärkt fühlen"

Die Kleinstadt Lübtheen in Meck- lenburg (5000 Einwohner) ist ei- ne Hochburg der NPD, wie mehre- re Orte in Ostdeutschland. Was das Karlsruher Urteil dort nun be- deutet, hat SZ-Korrespondent Werner Kolhoff die Bürgermeiste- rin Ute Lindenau (SPD) gefragt.


Sie hatten auf ein Verbot gehofft. Wie ist Ihre erste Empfindung?

Lindenau: Nach dem, was man in den letzten Tagen gehört hatte, war mir schon klar, dass der Antrag scheitern würde. So ist es ja auch gekommen. Deutschland lernt nicht aus seiner Geschichte.

Die Karlsruher Richter sagen, von der NPD gehe keine konkrete Gefahr aus.

Lindenau: Das hat man damals auch geglaubt. Im Moment ist die NPD relativ ruhig, auch bei uns. Aber das war auf diesen Moment gerichtet und sehr bedacht.

Stellt die Partei in manchen Orten in Mecklenburg eine Gefahr dar?

Lindenau: Ja, das würde ich schon so sagen. Sie haben in den letzten Jahren hier im Land sehr viele Aktivitäten entfaltet. Dabei konzentrieren sie sich auf bestimmte Ecken. Lübtheen ist ihr Erstansiedlungsort, dazu kommen Grevesmühlen, Jarmen natürlich und etliche Orte in Vorpommern.

Wie verhalten sich die beiden NPDler in Ihrem Gemeinderat?

Lindenau: Nicht sehr auffällig. Anfangs haben sie noch Anträge gestellt, die gleichlautend auch im Kreistag und in anderen Städten vorgebracht wurden. Jetzt stellen sie manchmal Nachfragen. Sie können nichts durchsetzen, denn da sind 15 andere, die mit ihnen niemals mitstimmen, das ist auch klar.

Werden Demokraten von der NPD bedroht, Sie zum Beispiel?

Lindenau: Im Moment nicht.

Sind Sie bedroht worden?

Lindenau: Dazu möchte ich nichts sagen.

Wie soll es nach dem zweiten gescheiterten Verbotsantrag nun weitergehen?

Lindenau: Man muss weiter aktiv gegen die NPD auftreten. Ich glaube aber, dass das Urteil für diejenigen, die sich engagiert haben, ein ziemlicher Schlag ist. Ob sie nun alle dabei bleiben und sich nun trotzdem weiter engagieren, das weiß ich nicht. Die NPD jedenfalls wird sich erstmal bestärkt fühlen.

Das vollständige Interview lesen Sie im Internet unter: www-saarbruecker-zeitung.de/berliner-buero

Frust, Kampfgeist, Entsetzen

Die Berliner Politik hat auf ein anderes Urteil gehofft - und zeigt sich jetzt besorgt

Verfassungsfeinde, aber zu unbedeutend für ein Verbot: Die Folgen des NPD-Urteils besorgen die Politik. Manche fürchten ein Erstarken der Rechten, andere mahnen jetzt erst recht zu mehr Prävention. Und viele sind entsetzt.

Von SZ-Korrespondent Hagen Strauß

Was nun? Man müsse jetzt wieder die "politische Auseinandersetzung" in den Fokus nehmen, meinte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt . Die Karlsruher Entscheidung, die NPD nicht zu verbieten, sei sogar ein Ansporn, "unsere Demokratie und unsere Grundrechte umso entschlossener zu verteidigen", kommentierte Justizminister Heiko Maas (SPD ). Über den Frust in der Berliner Politik konnten solche Sätze aber nicht hinwegtäuschen.

Das Verfassungsgericht bescheinigte der Partei zwar Verfassungsfeindlichkeit , aber für ein Verbot sei sie letztlich zu unbedeutend. Linke-Parteichef Bernd Riexinger merkte an, die NPD werde das Urteil als Bestätigung und Ermutigung begreifen. "Sie wird die Kreide, die sie gefressen hat, beiseitelegen angesichts der fremdenfeindlichen Stimmung im Lande. Und diese noch weiter befeuern." Via Twitter kommentierte die NPD den Richterspruch mit dem Wort "Sieg".

"Für uns zeigt dieses Urteil: Die eigentliche Gefahr geht von den jungen, von den neuen Nazis aus, die nicht in der NPD organisiert sind, und vom Rechtspopulismus", sagt Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt . Eine positive Entscheidung wäre daher im Kampf "gegen Rechts hilfreich gewesen, denn sie hätte die Partei als Organisation getroffen und auch die Finanzierung aus Steuergeldern beendet", befand SPD-Fraktionsvize Eva Högl. Dass die NPD von den Richtern als zu schwach und unwichtig bewertet worden sei, bedeute freilich auch ein "starkes Zeichen dafür, dass wir in den letzten Jahrzehnten die Auseinandersetzung mit der NPD erfolgreich geführt haben", erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU ). Er sehe darin eine Ermutigung "angesichts eines ansteigenden rechtsextremistischen Personenpotenzials".

Tatsächlich ist die NPD mit knapp 6000 Mitgliedern politisch zuletzt nur noch unbedeutend gewesen. Im vergangenen September flog die Partei in Mecklenburg-Vorpommern aus dem letzten Landtag, in dem sie noch saß. Auf kommunaler Ebene verfügen die Rechtsextremen derzeit bundesweit noch über etwa 360 Mandate - drei sind es im Saarland (siehe Text rechts). Bei der vergangenen Bundestagswahl bekam die Partei nur 1,3 Prozent der Stimmen. Nach Ansicht von Experten hat auch das Erstarken der AfD zum Niedergang der NPD beigetragen.

Für die Rechten sei das Urteil aber "alles andere als ein Freibrief, ihre Anhänger sind und bleiben Feinde der Demokratie ", erklärte Bundesratspräsidentin Malu Dreyer (SPD ), die auch rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin ist. Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU ) nannte das Scheitern des Verbotsverfahrens "bedauerlich". Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU ), meinte zerknirscht, "das ist nicht das von den Ländern erhoffte Ergebnis". Der Antrag auf ein Parteiverbot sei "mit der ganz ausdrücklichen Hoffnung verbunden, ein deutliches Zeichen zu setzen und der Atmosphäre der Angst, die von der NPD in einigen Regionen Deutschlands verbreitet wird, den Nährboden zu entziehen".

Ein solches Signal bleibt nun aus. "Angesichts der Erfolge rechtspopulistischer Parteien stellt sich die Frage, wie weit es kommen muss, bis eine Partei verboten wird", kritisierte deshalb auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster.



Das Saarland und die Karlsruher Entscheidung

Saarbrücken. Im Saarland spielt die NPD eigentlich eine politisch geringe Rolle, zumindest was die geringe Zahl ihrer Sitzplätze in Kreistagen oder Gemeinderäten angeht. Anders sieht es allerdings bei den saarländischen Vertretern auf bundespolitischer Bühne aus. So ist beispielsweise der ehemalige Völklinger Stadtrat Frank Franz der Bundesvorsitzende der rechten Partei, die gestern in Karlsruhe nicht verboten worden ist. Der Saarbrücker Stadtrat und NPD-Landesvorsitzende Peter Marx war bis 2014 Generalsekretär der Partei. Bis er 2014 über die "Peniskuchen"-Affäre stolperte und zurücktreten musste. Anwalt Peter Richter, Mitglied in der Regionalversammlung des Regionalverbands Saarbrücken, vertrat die NPD im aktuellen Verbotsverfahren gegen die Länder.

Ute Lindenau

Ute Lindenau

Nach dem Urteil: Drei NPD-Funktionäre in Karlsruhe, alle mit Saar-Bezug: Anwalt Richter, Fraktionsgeschäftsführer Marx, Bundeschef Franz.

Nach dem Urteil: Drei NPD-Funktionäre in Karlsruhe, alle mit Saar-Bezug: Anwalt Richter, Fraktionsgeschäftsführer Marx, Bundeschef Franz.

Spitzenpolitiker der saarländischen Landtagsparteien zeigten sich gestern indes wenig überrascht vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD ) erklärte, in Karlsruhe sei die Verfassungsfeindlichkeit der rechtsextremen NPD "eindeutig festgestellt" worden. Genau wie der Vorsitzende der Europa-Union Saar, Jörg Ukrow, forderte auch Rehlinger einen unermüdlichen Einsatz für "unsere wehrhafte Demokratie " - vor allem durch Präventionsarbeit.

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