Deutschland ist mehr denn je ein Einwanderungsland

737 Seiten dick ist der neue Bericht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD). Alle zwei Jahre erscheint das Werk, das die Lebenswirklichkeit der Migranten in nahezu allen Bereichen zu erfassen versucht. Fazit: Die Integration schreitet voran, es gibt aber noch viele Problemfelder. SZ-Korrespondent Werner Kolhoff beantwortet die wichtigsten Fragen.

 Ahmad Shah Kohdamani, ein 19 Jahre alter Afghane, beteiligt sich als Box-Trainer in Frankfurt/Oder am Bundesfreiwilligendienst. Foto: dpa

Ahmad Shah Kohdamani, ein 19 Jahre alter Afghane, beteiligt sich als Box-Trainer in Frankfurt/Oder am Bundesfreiwilligendienst. Foto: dpa

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Ist Deutschland weiterhin ein Einwanderungsland?

Mehr denn je. Inzwischen haben 17,1 Millionen Menschen, 21 Prozent der Bevölkerung, einen "Migrationshintergrund ". Zwei Drittel sind früher selbst einmal zugewandert, darunter auch aus Nachbarstaaten wie Österreich, das das zehntgrößte Herkunftsland ist. Ein Drittel ist hier geboren, hat aber mindestens einen ausländischen Elternteil. Mehr als die Hälfte der Migranten hat die deutsche Staatsangehörigkeit. 2015 kamen 1,13 Millionen Menschen mehr als fortgingen, ein Rekord, den die Flüchtlingswelle verursachte. Fast die Hälfte der Neuzuwanderer stammte aber immer noch aus anderen EU-Staaten, nur ein Drittel aus Asien oder Afrika. Die Türken stellen mit 16,7 Prozent die größte Migrantengruppe vor Polen und Russen. Die Migranten sind mit 36 Jahren im Schnitt jünger als "Ur"-Deutsche (47,7 Jahre).

Sind die Zuwanderer besser integriert als früher?

In welchem Umfang es noch Parallelgesellschaften und kulturelle Fremdheit gibt, kann der Bericht naturgemäß nicht sagen, denn da geht es um Einstellungen. Aber die Zahlen begründen Hoffnungen. So schicken inzwischen 22 Prozent der Migranten ihre Kinder in die frühkindliche Betreuung und 90 Prozent der Migrantenkinder besuchen Kitas. 17 Prozent machen inzwischen Abitur und 44 Prozent den mittleren Schulabschluss. Bei "deutschen" Jugendlichen liegen die Anteile nur unwesentlich höher. Aber: Immer noch sind Einwanderer mit 14,1 Prozent doppelt so oft von Arbeitslosigkeit betroffen, auch ihr Armutsrisiko ist doppelt so hoch (27,7).

Wird genug für Integration getan?

Die Anstrengungen sind enorm verstärkt worden. So nahmen im letzten Jahr 179 000 Menschen an Integrationskursen mit Sprachunterricht teil, doppelt so viele wie 2010. Neben Syrern (22 Prozent) kamen die Teilnehmer vor allem aus osteuropäischen EU-Ländern und der Türkei. Inzwischen werden die Deutschlehrer knapp.

Wie hat sich die Kriminalität von und gegen Migranten entwickelt?

Wenn man Verstöße gegen das Ausländerrecht nicht berücksichtigt, dann sind die hier legal lebenden Migranten oder ihre Kinder dem Bericht zufolge in der Kriminalstatistik etwas stärker vertreten als Deutsche. Das wird jedoch im Wesentlichen auf ihre spezielle soziale Situation zurückgeführt. Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan sind hingegen (anders als etwa Asylsuchende aus Balkanstaaten) absolut unauffällig. Ohnehin beschränken sich Straftaten von Flüchtlingen auf leichte Diebstähle und Ähnliches. Sexualstraftaten machen nur ein Prozent aus. Ein stark wachsendes Problem ist hingegen die Gewalt gegen Ausländer und Flüchtlinge. Die Fälle von Hasskriminalität gegen Ausländer haben sich in den Jahren 2014 und 2015 vervierfacht, die der Angriffe auf Asylheime sogar von 199 auf über 1000 verfünffacht.

Zum Thema:

Hintergrund Nach der längsten Plenardebatte in der Geschichte des bayerischen Landtags ist gestern mit den Stimmen der CSU-Mehrheit ein umstrittenes Integrationsgesetz beschlossen worden. In der Präambel wird von Zuwanderern ein Bekenntnis zur "Leitkultur" gefordert. Wer sich dem Lernen der deutschen Sprache verweigert oder die deutsche Rechts- und Werteordnung missachtet, muss mit Sanktionen rechnen. Das Gesetz, das im Januar in Kraft tritt, hatte bereits im Vorfeld bei der Opposition, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden Proteste ausgelöst. kna

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