EU, Russland, China und die Türkei kämpfen um den Balkan

Belgrad · (dpa) Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini musste bei ihrer Balkan-Tour in diesem Monat schmerzlich erfahren, wie wenig Brüssel inzwischen in Südosteuropa ernst genommen wird. In Mazedonien ließ sie der Staatspräsident mit ihren Vorstellungen zur Krisenlösung abblitzen. In Serbien ging ihre Rede im Parlament in Buhrufen unter.

Im Kosovo verschärften sich die Konflikte sofort nach ihrer Abreise, wo sie doch Ruhe und Lösungen bringen wollte. In Bosnien waren die tief zerstrittenen drei Staatspräsidenten nur bereit, den EU-Gast zu einem nichtssagenden protokollarischen Termin zu treffen. Der Schwund des EU-Einflusses befeuert das massive Engagement Russlands, der Türkei und Chinas. Moskau versucht mit einer bisher unbekannten Propaganda-Offensive, die Herzen der Menschen in den Balkanländern zu gewinnen. "Der Balkan hört nicht mehr auf Brüssel", trompetete die staatliche Agentur "Sputnik" vor wenigen Tagen. Oder die Überschrift lautet - noch mit einem Fragezeichen "Osteuropa wendet sich Russland zu?".

Aber auch die Türkei hat bereits einen Fuß in der Tür. Ihre Basis ist die muslimische Bevölkerung. In Bosnien-Herzegowina hat sie sich durch den Aufbau Dutzender kriegszerstörter Moscheen einen Namen gemacht. In Südserbien sind türkische Firmen bejubelte Investoren - vor allem im Textilsektor. China baut auch auf dem Balkan seit Jahren an der Wiederauferstehung der alten Seidenstraße mit Großinvestitionen in Autobahnen und Eisenbahnstrecken wie zwischen Belgrad und Budapest. Seit kurzem mischen auch arabische Länder mit. Sie kaufen Grundstücke in Bosnien, bauen ein ganzes Stadtviertel in Belgrad oder haben das Sagen bei der serbischen Fluggesellschaft.

Die mit Abstand Aktivsten sind aber die Russen. Seit Tagen steht ihre staatliche Sberbank beim jüngsten EU-Mitglied Kroatien im Zentrum des Wirtschaftskrimis um den überschuldeten größten Lebensmittel- und Handelskonzern Agrokor. Die Bank ist der größte Gläubiger und verfolgt neben wirtschaftlichen Interessen an diesem für die gesamte Balkanregion wichtigen Schlüsselunternehmen auch "geostrategische" Ziele, meint die renommierte Zagreber Zeitung "Vecernji list".

Russland stößt mit seiner immer heftigeren Propaganda in den Sprachen der Region offensichtlich in ein immer größeres Vakuum, das Brüssel hinterlässt. Da die EU mit sich selbst und mit den vielen Krisen in ihrer Umgebung beschäftigt ist, wird allem Anschein nach der Balkan mit seinen ungelösten Krisen nur noch verwaltet. "Es bleibt der bittere Eindruck und die Furcht, dass sich die EU und der Westen langsam von der Region wegdrehen, wenigstens solange sie nicht explodiert", schreibt das Belgrader "Novi Magazin" in seiner jüngsten Ausgabe.

Das Machtvakuum könnte noch größer werden durch einen möglichen Rückzug der USA unter ihrem neuen Präsidenten Donald Trump. Die meisten Kommentatoren in der Region erwarten, dass das amerikanische Interesse dramatisch nachlassen wird. Schon jetzt schafft es Moskau, die Balkanpolitiker auch für seine globalen Interessen einzuspannen.

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Engagement anderer Länder auf dem Balkan Russland: Oligarchen haben große Teile der Adriaküste Montenegros teils zu Fantasiepreisen gekauft. Serbien hat seine Erdölindustrie an Gazprom verkauft. Türkei: Renoviert großzügig teils kriegszerstörte historische Moscheen wie in den Städten Banja Luka und Sarajevo (Bosnien) und tritt als Großinvestor in verarmten Landstrichen Bosniens und Südserbiens auf. China: Baut mit Krediten und Unternehmen wichtige Autobahnen, Brücken und Eisenbahnstrecken. Modernisiert ein zentrales Kraftwerk in Serbien.

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