Auf den Spuren der Königin

Gersheim. Rolf John ist aus dem Häuschen. Tief beugt er sich über die kleinen Blumen am Wegrand, um sie genau zu betrachten. "Das ist Brand-Knabenkraut. Da kann man schon froh sein, wenn man es einmal findet, aber hier stehen gleich vier davon", sagt er begeistert

Gersheim. Rolf John ist aus dem Häuschen. Tief beugt er sich über die kleinen Blumen am Wegrand, um sie genau zu betrachten. "Das ist Brand-Knabenkraut. Da kann man schon froh sein, wenn man es einmal findet, aber hier stehen gleich vier davon", sagt er begeistert. "Nach dem Keimen dauert es acht Jahre, bis die ersten Blätter wachsen, dann noch einmal acht bis zur ersten Blüte." 16 Jahre bis zur vollen Entfaltung. Hübsch sieht es aus, das Brand-Knabenkraut. Wie eine Ähre ist der Blütenstand geformt, unten weiß, nach oben hin purpurn. Aber spektakulär ist diese Blume doch nicht gerade. Oder? "Sie sieht unscheinbar aus, man könnte sie leicht übersehen, aber schauen Sie mal genau hin", sagt Rolf John und zückt eine Lupe aus seiner Hemdtasche. Was das runde Vergrößerungsglas zum Vorschein bringt, ist tatsächlich wunderschön: Was vorher wie eine große Blume aussah, sind jetzt Dutzende kleine. Winzige rote Punkte tupfen die zarten, weißen Blüten, die aussehen wie kleine Männchen mit großen Hüten.Neben dem seltenen Brand-Knabenkraut wachsen im Saarland noch etwa 30 andere Orchideenarten in freier Natur - etwa die Hälfte der in Deutschland zu findenden Arten. Besonders viele Orchideen gedeihen auf einer großen, ansteigenden Wiesenfläche am nordöstlichen Rand von Gersheim im Bliesgau. Ein Schatz der Natur, der bereits in den 1930er Jahren entdeckt und später auch geschützt wurde, erklärt Rolf John. Regelmäßig stehen im Veranstaltungskalender des Biosphärenreservats Führungen durch dieses Orchideengebiet.

Die Gruppe, die sich an diesem frühenMorgen um Rolf John schart, hätte sich wahrlich besseres Wetter gewünscht. Dunkel türmen sich die Wolken am Himmel, jederzeit können sich die Schleusen öffnen. Die schmalen Wiesenwege, die den Hang hinaufführen, sind matschig vom langen Regen. Doch die Teilnehmer der Orchideen-Wanderung sind gewappnet: Regenschirme, wasserfeste Jacken, Mützen und feste Schuhe trotzen dem Wetter. Eine Frau hat sich sogar Gamaschen um die Hosenbeine gewickelt.

Nach wenigen hundert Metern hat Rolf John die erste Orchidee entdeckt. "Das hier ist Männliches Knabenkraut", sagt er und berührt fast liebevoll den schlanken, lilafarbenen Blütenstand der Blume - die weder männlich noch knabenhaft aussieht. Aber der Ursprung des Namens liegt ja auch nicht über, sondern unter der Erde, erklärt der Diplom-Biologe. "Orchideen haben zwei Wurzelknollen, die aussehen wie Hoden. Das griechische Wort dafür ist Orchis. Daher hat die ganze Familie der Orchideen ihren Namen. Und auf Deutsch sagt man eben Knabenkraut." Natürlich, so fügt er trocken hinzu, habe der Name schon so manchen Mann auf dumme Gedanken gebracht. "Sie haben die Knollen ausgegraben, weil sie dachten . . ." ". . . sie stärken die Manneskraft", ergänzt eine der Teilnehmerinnen lachend. Rolf John nickt. "Ich selbst habe es zweimal ausprobiert, und ich habe eine Tochter und einen Sohn", scherzt er. "Aber ich glaube, das reicht nicht für die Statistik."

Rolf John hat natürlich keine Orchideen ausgegraben, vor allem nicht im Bliesgau, denn die Arten, die dort wachsen, stehen unter Naturschutz und dürfen deshalb auf keinen Fall gepflückt werden. Von April bis Juli, teilweise noch im August, blühen die Orchideen - je nach Art. Die Hauptblütezeit ist im Mai und Juni, dann sind bis zu 15 Arten gleichzeitig zu bestaunen. Dass die Orchideen auf den Wiesen bei Gersheim so üppig blühen, liegt vor allem am Kalkboden, aber auch an der schonenden Landwirtschaft und der abwechslungsreichen Landschaft.

Immer weiter steigt die Gruppe den Hang hinauf, entlang einer hüfthohen Mauer, in der zwischen zwei Steinen kopfüber eine Weinbergschnecke hängt. Wie bestellt, denn Rolf John sagt gerade: "Hier befand sich früher mal ein Weinberg." Dann entdeckt er eine einzelne dunkelrote Blume. "Purpur-Knabenkraut", sagt der Biologe. "Davon gibt es hier in diesem Jahr nicht viele." Ein wenig wird die Orchidee noch brauchen, bis sie in voller Schönhaut zu bewundern ist. Die zapfenförmig angeordneten Blüten sind noch nicht aufgegangen. Ein paar Meter weiter muss Rolf John zweimal hinsehen, ehe er sagt: "Das ist ein Zweiblatt. Fast hätte ich es übersehen." Kein Wunder, denn zwischen dem Wiesengras ist die Pflanze kaum auszumachen. Sie ist einfach nur grün, auch die Blüten. "Im Gegensatz zu den meisten anderen Orchideenarten steht das Zweiblatt nicht auf der Roten Liste gefährdeter Arten", erklärt Rolf John. "Die Wahrscheinlichkeit, dass es jemand für einen Muttertags-Blumenstrauß pflückt, ist ja nicht gerade groß."

Vorbei an dichtem Gebüsch führt der Weg in den Wald. Die Schritte der Wanderer federn auf dem feuchten Boden, Zweige knacken unter den Schuhen. Durch den Regen sind die würzigen Gerüche des Waldes noch intensiver. Ein Bach plätschert den Hang hinunter, in den Bäumen singen die Vögel. Sonst ist in der Abgeschiedenheit nichts zu hören. Dann bricht der Weg aus dem Wald hinaus auf eine abfallende Wiese, die übersät ist von lilafarbenen Blüten. Männliches Knabenkraut, wissen die Teilnehmer der Wanderung inzwischen. Eine einsame weiße Blüte wiegt sich in dem Meer aus Lila im Wind. "Nur jede tausendste Orchidee dieser Art ist weiß", sagt Rolf John.

Nach knapp drei Stunden endet die Wanderung am Parkplatz, jeder Teilnehmer bekommt noch ein kleines Faltblatt, auf dem er sich alle Orchideen noch einmal ansehen kann. Das Wetter hat bis auf ein paar Tropfen Regen während der ganzen Zeit gehalten. Erst als die Wanderer in ihre Autos steigen, um nach Hause zu fahren, bricht ein Schauer los, der sich gewaschen hat.

biosphaere-bliesgau.eu

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