„Es gibt oft verdeckte Armut“

Die Armutsquote im Saarland liegt über dem Bundesdurchschnitt. Was das für die Menschen im Land bedeutet, erläutert der Saarbrücker Caritas-Direktor Michael Groß im Gespräch mit SZ-Redakteur Jörg Wingertszahn.

Herr Groß, eine der Schlagzeilen zum Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes lautet: "Rasanter Anstieg der Armut bei Rentnern". Ist das Panikmache oder die Wirklichkeit?

Groß: Das ist schon die Wirklichkeit. Wenn man die Auswirkungen des demographischen Wandels betrachtet, ist es fast schon logisch, dass wir eine Zunahme von armen älteren Menschen verzeichnen. Auch im Bereich der Langzeitarbeitslosen besteht Handlungsbedarf, um gerade diesen Personenkreis im Alter vor Armut besser schützen zu können. Außerdem haben wir es oft mit einer verdeckten Armut älterer Menschen zu tun, die erstmal gar nicht auffällt, obwohl die Menschen sehr, sehr arm sind. Das sind Menschen, die den Gangzu den Behörden scheuen.

Und die kommen dann zu Ihnen?

Groß: Unter anderem. Wir merken das in unseren Beratungsgesprächen, ob jemand kurzfristig Hilfe braucht, damit man kein Darlehen aufnehmen muss, was in eine Schuldenfalle führen könnte.

Können Sie ein Beispiel nennen, welche Hilfe gebraucht wird?

Groß: Das sind ganz rudimentäre Sachen, sei es ein Herd, sei es ein Heizgerät. Oder Brillen und Hörgeräte - für ältere Menschen ist der Weg zur Caritas oft einfacher als zu einer Behörde.

Wenn so viele zu Ihnen kommen, sind dann die Sozialleistungen zu niedrig?

Groß: Das will ich nicht abschließend bewerten. Zumindest stellen wir fest, dass die Menschen in schwierigen Lebenslagen kommen und sehr unbürokratisch Hilfe in Anspruch nehmen müssen.

Wenn man Ihnen zuhört, kann man sich fragen, ob Durchschnittswerte überhaupt geeignet sind, um Armut zu beschreiben. Brauchen wir eine neue Definition der Armutsschwelle?

Groß: Die Zahlen, die in der Diskussion angeführt werden, muss man genau betrachten. Beispiel Arbeitslosenquote: Die hat sich in den vergangenen Jahren ja deutlich "verbessert" - was aber nicht zwangsläufig dazu führt, dass mehr Menschen von dieser Entwicklung profitieren. Natürlich gibt es mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, aber ist das, was die Menschen verdienen, auch ausreichend, um das Leben zu gestalten?

Wer ist denn im Saarland vor allem von Armut betroffen?

Groß: Ältere Menschen, Kinder und Alleinerziehende.

Aktuell bedeuten die Flüchtlinge eine neue Herausforderung. Rechnen Sie mit mehr Zulauf?

Groß: Das beschäftigt uns wie alle Wohlfahrtsverbände schon seit zwei Jahren und war in der Vergangenheit immer ein Thema.

Wie viele Flüchtlinge betreuen Sie?

Groß: Pro Woche sind das bei uns in Saarbrücken rund 750.

Sind Flüchtlinge vielleicht die nächste Risikogruppe für Armut?

Groß: Das hängt davon ab, wie schnell die Flüchtlinge integriert werden.

Zum Thema:

HintergrundIm Saarland ist die Armutsquote zwischen 2013 und 2014 von 17,1 Prozent an 17,5 Prozent angestiegen und liegt damit über dem Bundesdurchschnitt von 15,4 Prozent, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband gestern berichtete. Das ist den Angaben zufolge der höchste Wert seit zehn Jahren. Der Verband nahm einen Wert des Statistischen Bundesamts für 2014 als Richtgröße. Gezählt werden dabei Menschen, die in Haushalten mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens leben.Betrachtet man dagegen das regionale Durchschnittseinkommen im Saarland als Richtgröße, so liegt der Wert nicht bei 17,5 Prozent, sondern bei 16,1 Prozent. jöw

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort