Türkei droht mit Platzen des Flüchtlingsabkommens

Berlin/Ankara (dpa) · Seit dem Pakt der EU mit der Türkei im März kommen deutlich weniger Flüchtlinge nach Griechenland. Doch Ankara sieht eine wichtige Bedingung des Abkommens nicht erfüllt - und droht mit seinem Ende.

Angesichts der politischen Krise in der Türkei wird der Ton zwischen Ankara, Brüssel und Berlin immer schärfer. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu stellte den Flüchtlingspakt zwischen der EU und seinem Land infrage und forderte ultimativ die versprochene Visumfreiheit für Türken.

Damit biss er in Brüssel und Berlin aber auf Granit. „In keinem Fall darf sich Deutschland oder Europa erpressen lassen“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel in Rostock.

Gleichzeitig verschärften sich die Spannungen mit Deutschland. Ankara bestellte den deutschen Gesandten ins Außenministerium ein - aus Protest dagegen, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan am Wochenende nicht per Videoschalte zu seinen Anhängern in Köln sprechen durfte.

Bei der Kölner Demo hatten am Sonntag bis zu 40 000 Menschen ihre Unterstützung für Erdogan und seine Politik gezeigt. Die EU und die Bundesregierung sind dagegen besorgt über die Entlassung von Zehntausenden Staatsbediensteten und die Festnahme von fast 19 000 mutmaßlichen Regierungskritikern in der Türkei nach dem gescheiterten Putsch vor gut zwei Wochen. Aus Furcht vor einem Überschwappen des innertürkischen Konflikts wurde die Übertragung von Erdogans Rede nach Köln letztlich vom Bundesverfassungsgericht verboten.

Darüber zeigte sich Ankara erbost und bestellte Gesandten Robert Dölger ins Außenministerium - was in der Diplomatie einem scharfen Protest gleichkommt. Einzelheiten des Gesprächs wurden zunächst nicht bekannt. Das Auswärtige Amt spielte die Einbestellung herunter. Die Bitte zum Gespräch sei zwischen Staaten eine „tagtäglich vorkommende Normalität“, sagte Sprecher Martin Schäfer in Berlin. „Es ist gute Gepflogenheit, einer solchen Einladung Folge zu leisten.“

Schwerwiegender könnte der erneute Streit über das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Union vom März sein. Darin hatte Ankara versprochen, illegal nach Griechenland übergesetzte Flüchtlinge zurückzunehmen. Im Gegenzug sagte die EU Finanzhilfen zu und stellte unter anderem die Visumfreiheit für Türken in Aussicht.

Dafür gelten aber 72 Bedingungen, von denen fünf noch immer offen sind. Der mit Abstand umstrittenste Punkt ist die Forderung der EU nach einer Entschärfung der türkischen Anti-Terror-Gesetze, die Ankara aber weiterhin strikt ablehnt.

Außenminister Cavusoglu sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, seine Regierung erwarte einen konkreten Termin. „Es kann Anfang oder Mitte Oktober sein - aber wir erwarten ein festes Datum“, sagte er. „Wenn es nicht zu einer Visa-Liberalisierung kommt, werden wir gezwungen sein, vom Rücknahmeabkommen und der Vereinbarung vom 18. März Abstand zu nehmen.“

Das wiederum kam in Brüssel und auch in Berlin als Drohung an - und führte umgehend zu deutlichen Repliken. Die Bundesregierung betonte, man werde über einen konkreten Zeitpunkt für die Visumfreiheit erst sprechen, wenn Ankara alle Voraussetzungen erfüllt habe. Die EU-Kommission vertritt dieselbe Linie. „Wenn die Türkei die Visa-Liberalisierung haben möchte, müssen die Vorgaben erfüllt werden“, sagte eine Sprecherin in Brüssel.

SPD-Chef Gabriel sagte: „Es liegt an der Türkei, ob es Visafreiheit geben kann oder nicht.“ CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte sogar: „Visafreiheit für die Türkei ist in der aktuellen Lage völlig ausgeschlossen.“

Eine Lösung für das Problem ist nicht absehbar. Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok sagte zwar nach Angaben der „Huffingten Post“, die Forderung der Türkei sei legitim, zumal sie ihren Teil des Flüchtlingsdeals ja auch erfüllt habe. Doch könne die EU keine Visumfreiheit gewähren, wenn die Türkei gegen Grundrechte verstoße. „Wir sollten die übrigen zwei Monate nutzen, mit der Türkei in Ruhe zu verhandeln“, sagte Brok. Ohne das Abkommen mit Ankara kämen wieder Millionen Flüchtlinge nach Europa.

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