"Die Leute erwarten viel"

Neu Delhi. Die tibetische Exil-Regierung steckt mitten in einem Generationenwechsel. Lobsang Sangay, ein 43-jähriger Jurist von der Harvard-Universität, ist gestern in der nordindischen Stadt Dharamsala als neuer Premierminister vereidigt worden. "Das ist eine historische Veränderung", sagt der Präsident des Exil-Parlaments, Penpa Tsering

 Der neue Regierungschef Lobsang Sangay mit dem Dalai Lama bei der Vereidigung. Foto: dpa

Der neue Regierungschef Lobsang Sangay mit dem Dalai Lama bei der Vereidigung. Foto: dpa

Neu Delhi. Die tibetische Exil-Regierung steckt mitten in einem Generationenwechsel. Lobsang Sangay, ein 43-jähriger Jurist von der Harvard-Universität, ist gestern in der nordindischen Stadt Dharamsala als neuer Premierminister vereidigt worden. "Das ist eine historische Veränderung", sagt der Präsident des Exil-Parlaments, Penpa Tsering. Nicht nur, weil Sangay fast 30 Jahre jünger als sein Vorgänger ist, sondern auch weil er mehr Einfluss haben wird. Im März hatte der Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt der Tibeter, die Abgeordneten um die Entbindung von seinen politischen Aufgaben gebeten. Daher liege die politische und administrative Verantwortung nun ganz in den Händen des Regierungschefs, so Tsering.Vor allem junge Exil-Tibeter erwarten viel vom neuen Premier. "Wir hoffen auf eine neue Politik gegenüber China", sagt Tenzin Norsang vom Tibetischen Jugendkongress. Deren Mitglieder stehen dem vom Dalai Lama propagierten "Weg der Mitte" und der damit verbundenen Forderung nach "wirklicher Autonomie" für Tibet im Rahmen der chinesischen Verfassung kritisch gegenüber. Sie streben nach Unabhängigkeit für ihre Heimat. "Lobsang Sangay kommt aus dem Jugendkongress, deshalb sollte sich unter seiner Führung manches zum Positiven wandeln."

Parlamentspräsident Tsering warnt allerdings vor falschem Optimismus. Sangay habe sich im Wahlkampf für den "Weg der Mitte" eingesetzt und sei auf dieser Grundlage im Frühjahr von 55 Prozent der 83 000 stimmberechtigten Exil-Tibeter gewählt worden. An der politischen Linie werde sich daher nichts ändern.

China bewegt sich nicht

Der Parlamentarier und frühere Chefredakteur des Senders "Stimme Tibets", Karma Yeshi, stimmt dem zu. "Die jungen Leute mögen eine andere Meinung vertreten, doch Veränderungen können nur vom Parlament auf den Weg gebracht werden." Falls Sangay neue Ideen habe, müsse er dafür eine Mehrheit unter den Abgeordneten finden. Das neu gewählte Exil-Parlament, das wie die Exil-Regierung von keinem Land der Welt anerkannt wird, tritt vom 16. September bis 1. Oktober zusammen.

"Die Leute erwarten sehr viel vom neuen Premierminister", weiß Yeshi. Dessen Spielraum sei jedoch eher gering, denn der Erfolg exil-tibetischer Politik hänge vor allem von der chinesischen Regierung ab, die derzeit keinerlei Entkommen signalisiere. "In der Tibet-Frage hat sich Peking in den letzten Jahren kaum bewegt", bestätigt Kai Müller von der Internationalen Kampagne für Tibet. Angesichts anhaltender Unzufriedenheit in Tibet müsse sich die chinesische Führung jedoch mit der Frage auseinandersetzen, wie mit dem Problem langfristig umzugehen sei. Bislang werde auf Unruhen "mit der Knute" reagiert, so Müller. Stabilität könne es aber nur geben, wenn die kulturellen Rechte der Tibeter anerkannt würden.

Nach seiner Wahl hatte Lobsang Sangay in einem Interview mit dem Magazin "Focus" erklärt, zu Gesprächen mit Peking bereit zu sein. Zugleich wolle er aber "unverblümt" die Ungerechtigkeiten der Besatzung Tibets, die kulturelle Assimilierung, die wirtschaftliche Marginalisierung und die politische Unterdrückung anprangern, kündigte er an. Chinas Regierung zeigte sich unbeeindruckt und bezeichnete Sangay aufgrund seiner Vergangenheit im radikalen Jugendkongress sogar als "Terroristen".

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