Abgeordnete ringen um Sterbehilfe

Berlin · Die Neuregelung der Sterbehilfe ist eines der schwierigsten Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode – und eine sehr individuelle Entscheidung der Abgeordneten. Das verträgt keinen Fraktionszwang.

Mit fast gebrochener Stimme erzählt Katarina Barley (SPD ) von einer kranken Frau, die sich aus völliger Verzweiflung eine Plastiktüte über den Kopf zog, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Katrin Göring-Eckardt (Grüne) schildert, wie sie nach einem schweren Unfall ihrer Mutter darüber entscheiden musste, "die Geräte abzustellen". Die Abgeordneten hören angespannt zu. Manchmal wird in allen Fraktionen applaudiert. Gelegentlich gibt es auch Unmutsäußerungen. Doch im Gegensatz zu anderen Debatten dominiert der Respekt des einen vor der Position des anderen.

Es geht um Sterbehilfe , um Menschen also, die keinen anderen Ausweg für sich sehen, aber eben auch darum, was Politik dabei erlauben oder besser verbieten sollte. Bundestagspräsident Norbert Lammert spricht vom "anspruchsvollsten und schwierigsten Gesetzgebungsvorhaben" der laufenden Wahlperiode. Im vergangenen Herbst hatten sich die Abgeordneten dem schwierigen Thema schon mit einer "Orientierungsdebatte" genähert. Dabei zeichneten sich auch viele Gemeinsamkeiten ab. Niemand denkt daran, die aktive Sterbehilfe zu erlauben, also ein Verfahren, bei dem jemand eine tödliche Spritze von einem anderen gesetzt bekommt. Alle sind für den Ausbau der Betreuung Schwerstkranker durch Palliativmedizin und Hospize. Kollektiv abgelehnt wird auch die gewerbsmäßige Suizidbeihilfe. So wie die Selbsttötung in Deutschland straffrei ist, ist es heute allerdings auch die Beihilfe zur Selbsttötung. Und spätestens hier gehen die Meinungen auseinander, was gestattet sein soll und was nicht.

Mittlerweile liegen dazu vier fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe vor. Drei davon zielen auf eine mehr oder minder drastische Verschärfung des Strafrechts. Eine Vorlage nimmt das ärztliche Standesrecht ins Visier und will den Medizinern die Beihilfe bundesweit einheitlich erlauben.

Strafbar oder nicht?

Zu den Initiatoren dieses Entwurfs gehören Peter Hintze (CDU ) und Karl Lauterbach (SPD ). Beide verweisen darauf, dass zehn von 17 Landesärztekammern jede Form von ärztlicher Suizidbeihilfe untersagen - trotz Straffreiheit . Der Mediziner solle das Recht auf eine Gewissensentscheidung haben, betont Hintze. So wie er warnt später auch Lauterbach vor dem Gesetzesantrag einer Gruppe um Kerstin Griese (SPD ) und Michael Brand (CDU ). Der beinhaltet zwar kein Komplett-Verbot, aber die "geschäftsmäßige", also auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe soll danach mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Kein Arzt werde dann mehr eine Sterbehilfe anbieten, erklärt Lauterbach. Denn wenn etwa ein Onkologe schwer Krebskranken wiederholt zum Suizid verhelfe, dann mache er sich damit strafbar.

Griese und ihre Unterstützer weisen diese Vorhaltung zurück. Ihnen geht es darum, Vereine wie "Sterbehilfe Deutschland" zu treffen, oder den Berliner Urologen Uwe-Christian Arnold, der schwerkranken Menschen todbringende Medikamente verschafft. Sterbende sollten "an der Hand und nicht durch die Hand eines Menschen sterben", sagt Brand.

Nach jetzigem Stand hat der Griese/Brand-Entwurf die besten Aussichten, eine Mehrheit zu finden. 210 Abgeordnete haben nach Angaben Brands schon ihre Unterstützung bekundet. Bei Hintze und Lauterbach sind es nur etwa halb so viele. Auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU ) macht sich für die Griese/Brand-Linie stark. Keine Chancen werden der Vorlage von Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) eingeräumt. Sie streben eine Regelung an, bei der Vereine ohne Gewinnabsicht Suizidbeihilfe leisten können. Umgekehrt findet auch Patrick Sensburg (CDU ) nur wenig Unterstützung. Sein Gesetzentwurf beinhaltet ein weitestgehendes Verbot des assistierten Selbstmords.

Meinung:

Das Ende eines Tabus

Von SZ-RedakteurJörg Wingertszahn

Du sollst nicht töten - das muss weiter die Maxime menschlichen Handelns im Umgang mit Patienten sein. Der Wert des Lebens darf bei der Sterbehilfe niemals in Frage gestellt werden. Das sehen in großer Einigkeit auch alle Fraktionen des Bundestags so - Gottseidank. Dennoch muss es in Ausnahmefällen möglich sein, ja auch straffrei sein, das Leiden zu verkürzen - wie es bereits heute der Fall ist. Klar ist auch, dass finanzielle oder kommerzielle Interessen weder geduldet noch gefördert werden dürfen. Vielmehr sollten speziell geschulte Palliativmediziner einen größeren Handlungsspielraum bekommen, wenn es darum geht, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Unveränderbares Leid zu verlängern, ist auch keine christliche Haltung.

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