Wenn Opa doch ermordet wurde

Limburg/Frankfurt · Ist die verstorbene Oma tatsächlich friedlich eingeschlafen? Klären kann das nur ein Arzt. Das Gesetz regelt, wie solche Leichenschauen ablaufen. Doch nicht immer wird die Todesursache erkannt.

 Marcel Verhoff, Chef der Frankfurter Rechtsmedizin, an seinem Arbeitsplatz. Foto: A.Arnold/dpa

Marcel Verhoff, Chef der Frankfurter Rechtsmedizin, an seinem Arbeitsplatz. Foto: A.Arnold/dpa

Foto: A.Arnold/dpa

Der Sarg liegt bereit, die Leiche ist für die Beerdigung präpariert. Doch dann schlägt der Bestatter Alarm: Aus dem Sarg tropft eine rote Flüssigkeit. Bei der Obduktion stellt der Chef der Frankfurter Rechtsmedizin , Marcel Verhoff, fest: "Die Leiche hat eine Stichverletzung am Rücken." Das Blut hatte sich im Brustkorb gesammelt. Zuvor hatte jedoch ein anderer Arzt einen natürlichen Tod bescheinigt.

Was sich in Gießen vor einigen Jahren abspielte, ist kein Einzelfall. So steht in Limburg ab heute eine 56 Jahre alte Frau vor dem Landgericht, die eine 84-jährige Verwandte ermordet haben soll. Zunächst hatte auch in diesem Fall ein Arzt einen natürlichen Tod festgestellt, wie der Verteidiger der 56-Jährigen angibt. Dann seien Verwandten jedoch Verletzungsspuren an der toten 84-Jährigen aufgefallen. Die anschließende Obduktion habe unter anderem einen Kehlkopfbruch ergeben.

"In der Polizeiarbeit sind solche Fälle eher die Ausnahme", sagt Andreas Grün, hessischer Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP. Die Polizei beginnt mit ihren Ermittlungen erst dann, wenn ein Arzt bei der ersten Leichenschau Zweifel hat. Seine Einschätzung ist für die Frage natürlicher oder nicht-natürlicher Tod ausschlaggebend. Soll eine Leiche verbrannt werden, ist eine zweite Leichenschau Pflicht. Diese dürfen - im Gegensatz zur ersten - nur qualifizierte Leichenbeschauer, Amtsärzte oder Rechtsmediziner vornehmen. In einer Studie hatte 2012 Tanja Germerott, Oberärztin am Institut für Rechtsmedizin in Hannover, herausgefunden, dass in Hannover in zehn Jahren 387 Tote nach der zweiten Leichenschau obduziert wurden. In 14,2 Prozent der Fälle war fälschlicherweise eine natürliche Todesart angenommen worden.

Häufig werde bei der Leichenschau nicht so genau hingeschaut, sagt Rechtsmediziner Verhoff. Zwar sei der Hausarzt aus medizinischer Sicht am besten geeignet, die Situation korrekt einzuschätzen. "Gerade bei alten Menschen ist er aber auch befangen, weil er die Angehörigen kennt und die ihn bedrängen."

Das größte Problem sei, dass die Leichenschau bei Ärzten sehr unbeliebt sei und nicht gut bezahlt werde, sagt Verhoff. So würden in Deutschland nur ein bis zwei Prozent aller Verstorbenen obduziert. "Das ist aus meiner Sicht viel zu wenig." Forderungen seitens der Politik, die Leichenschau nur noch von professionellen Rechtsmedizinern machen zu lassen, sieht Verhoff kritisch. "Dafür müssten wir erst einmal das Personal ausbilden."

Die Leichenschau gilt unter Ärzten als letzter Dienst am Patienten. "Sie ist aber auch ein Dienst am Lebenden", erläutert Verhoff. So könnten beispielsweise Strom oder Kohlenmonoxid die Todesursache sein. "Bleibt das unentdeckt, stirbt vielleicht erneut ein Mensch." Manchmal führen seine Entdeckungen die Polizei auf die richtige Fährte. Als Verhoff an einem angeblich natürlich verstorbenen Menschen ein laienhaft aufgeklebtes Pflaster auf der Brust entdeckt, sieht er noch genauer hin. "Es war eine glatte Einstichwunde darunter. Die Polizei hat dann herausgefunden, dass es ein Suizid war und der Sohn das verbergen wollte."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort