Lieber zur Uni als an die Werkbank

Saarbrücken/Gürtersloh · Mit Werbekampagnen und einer gezielten Ansprache von Eltern versucht die Saar-Wirtschaft, mehr Interesse für eine betriebliche Ausbildung von Jugendlichen zu wecken. Jüngste Zahlen sind alarmierend.

. Die Bertelsmann-Stiftung sieht gewaltige Probleme auf die deutschen Unternehmen zukommen. Sie hat in einer Studie ermittlelt, dass bis zum Jahr 2030 voraussichtlich nur noch 400 000 junge Menschen eine betriebliche Ausbildung beginnen werden. Das wären rund 80 000 weniger als heute. Eine weitere Erkenntnis: Der Trend zum Studium bleibe dagegen weitgehend ungebrochen.

Diese alarmierenden Zahlen rufen inzwischen auch die Saar-Wirtschaft auf den Plan. Sie will mit Werbekampagnen die Attraktivität einer betrieblichen Ausbildung unterstreihen und gleichzeitig Eltern in speziellen Aktionen vor Ort neueste Informationen über moderne Berufe inklusive Karriere-Perspektiven vermitteln.

Alleine die Industrie- und Handelskammer (IHK) Saarland nimmt 200 000 Euro in die Hand, um ab November bis ins nächste Jahr hinein über Radio-Sender wie big fm, die Saarbrücker Zeitung und soziale Medien jungen Leuten und Eltern modernste Trends und Karriere-Perspektiven in zahlreichen Berufen zu vermitteln. "Den Trend, den die Bertelsmann-Stiftung ermittelt hat, betrachten wir mit großer Sorge", begründet IHK-Geschäftsführer Heino Klingen das Vorpreschen der Kammer pro betrieblicher Ausbildung. Es sei auch wichtig, einen Mentalitätswechsel bei den Eltern herbeizuführen, die immer noch sehr häufig traditionelle Vorstellungen vermittelten und Wohlstand sowie Erfüllung im Beruf am ehesten mit einem Studium realisiert sehen. Diese Vorstellung sei heute überholt. Klingen verweist zudem auf die gemeinsame Aktion "Berufsschulsiegel" der Saar-Wirtschaft mit dem Bildungsministerium, die Schulen auszeichnet, die besonders ausführlich und kompetent über die Möglichkeiten einer beruflichen Ausbildung informieren. Die duale Ausbildung biete zahlreiche Alternativen mit attraktiven Karrieremöglichkeiten, bilanziert Klingen.

Darauf verweist auch Justus Wilhelm, Bereichsleiter Ausbildung in der Handwerkskammer (HWK) des Saarlandes. "Für uns ist das, was die Bertelsmann-Stiftung ermittelt hat, das Mega-Thema schlechthin", so Wilhelm. Seine Überzeugung: "Die akademische Ausbildung und die duale Ausbildung sind gleichwertig." Die Handwerkskammer ziele nicht darauf ab, jungen Menschen das Studium madig zu machen, es sei jedoch auch im Handwerk heutiger Prägung sehr gut möglich, Karriere zu machen, mit modernsten Technologien in Berührung zu kommen, schnell Verantwortung zu übernehmen, gut zu verdienen und bei entsprechender Eignung sogar einen Betrieb zu übernehmen. "Alleine 2000 Betriebe an der Saar suchen innerhalb der kommenden fünf Jahre einen Nachfolger." Das Saar-Handwerk beteilige sich bereits seit einiger Zeit an einer großen bundesweiten Image- und Informationskampagne über Chancen in modernen Handwerksberufen. Zudem will die Saar-Handwerkskammer in den kommenden Monaten mit einigen Aktionen speziell auf Eltern zugehen. Denn die üben nach Beobachtungen von Wilhelm immer noch einen großen Einfluss auf die Berufswahl von Sohn oder Tochter aus. Wilhelm treibt dabei vor allem ein Gedanke um: "Es ist immer noch nicht bekannt genug, dass man im Handwerk Karriere machen kann." Die Bertelsmann-Studie zeigt zudem auf, dass bei einem weiteren Rückgang der Zahl an Auszubildenden ein steigender Fachkräftemangel droht, zumal auch die geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen.

Meinung:
Vorurteile ablegen

Von SZ-RedakteurThomas Sponticcia

Jugendliche habe heute so viele Möglichkeiten wie nie zuvor, sich zu informieren oder Ansichten gegenseitig auszutauschen, meist über soziale Medien. Da verwundert es schon, dass die Berufswahl in zahlreichen Fällen immer noch nach einem sehr traditionellen Muster abläuft: Meist sind es die Eltern , die hier den Ton angeben und Einfluss auf die Jugendlichen nehmen, besonders in ländlichen Gebieten. Vergessen wird jedoch, dass viele der gut gemeinten Ratschläge von der Realität überholt sind. Das Studium ist nicht mehr der Königsweg, um zu Ansehen, Geld und Erfüllung im Beruf zu kommen. Insbesondere das Handwerk bietet heute Alternativen im zahlreichen Berufen mit modernster Technik, viel Verantwortung und der Chance, schnell Karriere zu machen. Sogar Betriebe können übernommen werden. Mädchen suchen immer häufiger ihre Zukunft in früher eher männerdominierten Berufen. Es hilft niemandem, wenn man Sohn oder Tochter nur in eine Richtung drängt. Auch Eltern sollten sich vorurteilsfrei informieren, welche Berufe wirklich erfüllende Perspektiven bieten.

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