„Chancen für ein neues Leben“

Saarbrücken · Sabene, das saarländische Beratungsnetzwerk für Flüchtlinge, fordert angesichts der hohen Zahl von Neuankömmlingen mehr Geld. Der Bund sei in der Pflicht.

 Ahmad Jazzar, Adnan Nima und Ali Haram (v.l.) erzählen von ihren ersten Schritten in ein neues Leben. Rechts im Bild: Dirk van den Boom von Micado Migration. Fotos: Oliver Dietze

Ahmad Jazzar, Adnan Nima und Ali Haram (v.l.) erzählen von ihren ersten Schritten in ein neues Leben. Rechts im Bild: Dirk van den Boom von Micado Migration. Fotos: Oliver Dietze

Ali Haram ist aus einer Stadt in der Nähe von Aleppo geflohen, vor anderthalb Jahren kam er ins Saarland, jetzt steht der 19-Jährige in einem Saal der IHK Saarland , lächelt dem Publikum zu und erzählt auf Deutsch: dass er Schüler am Berufsbildungszentrum in Lebach ist - im Berufsgrundbildungsjahr - und "danach eine Ausbildung machen will". Ahmad Jazzar ist erst seit vier Monaten in Deutschland und spricht die neue Sprache schon so gut, dass die Zuhörer Beifall klatschen. "Ich habe im Rathaus von Aleppo gearbeitet", berichtet der Bauingenieur. Jetzt hofft der Syrer auf die baldige Anerkennung seines Bachelor-Abschlusses. Für die Flüchtlinge gehe es nun "um Chancen für ein neues Leben", sagt er.

Ali Haram und Ahmad Jazzar sprechen auf einer Veranstaltung des saarländischen Beratungsnetzwerks Sabene, zum Auftakt der neuen, inzwischen dritten Phase dieses Projekts. Beide Flüchtlinge bekommen unter anderem Unterstützung von Sabene. Das seit 2008 bestehende Netzwerk ebnet Wege in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt . 2,6 Millionen Euro stehen bis Ende Juni 2019 dafür zur Verfügung - gezahlt zur Hälfte von der EU, zu 40 Prozent vom Bund und zu zehn Prozent von den Projektträgern Jobcenter, Caritas , dem Burbacher Bildungsträger ZBB und der gemeinnützigen GmbH Micado Migration in St. Ingbert, wie Hermann Schönmeier erläutert, der Micado-Geschäftsführer und Sabene-Projektverantwortliche. 2,6 Millionen - das ist in seinen Augen "nicht viel Geld". Die dritte Projektphase war zu Zeiten geplant worden, als noch niemand absehen konnte, dass so viele Tausende von Flüchtlingen ins Land strömen werden. Schönmeier sieht daher den Bund in der Pflicht, die Summe deutlich aufzustocken.

"Sabene ist völlig unverzichtbar geworden", sagt Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD ). Das Netzwerk ist an verschiedenen Stellen in der Flüchtlingsbetreuung aktiv. Zunächst bei der Erfassung von Daten zu Ausbildung und Berufsqualifikation. Schönmeier zog eine Zwischenbilanz: 258 Interviews zur Datenerfassung zählte Sabene bis Ende September, bis Ende des Jahres sollen es 350 bis 400 werden. 174 Flüchtlinge wurden zu Erstberatungen über berufliche Perspektiven eingeladen, 171 kamen zu den Terminen, und für 81 Flüchtlinge wurde die Anerkennung von Zeugnissen vorbereitet.

Der Projektpartner Caritas unterstützt junge Leute ab 15 Jahren, wie zum Beispiel Ali Haram, auf dem Weg zum Schulabschluss und beim Übergang von der Schule in den Beruf. Ein weiteres Aktionsfeld ist die Vorbereitung von Jugendlichen, die bereits recht gut Deutsch sprechen, auf eine Berufsausbildung. Gerade hat das ZBB Burbach einen Kurs mit 20 jungen Leuten gestartet. Zu Beginn des nächsten Ausbildungsjahres im Sommer 2016 sollen sie fit sein für eine Lehre. Einer der Teilnehmer ist Negassi Kidenamariam. Der 25-Jährige aus Eritrea kann sich vorstellen, eine Schweißerausbildung zu machen. Haftan Hadush, ebenfalls aus Eritrea, hat gleich "drei Pläne - von A bis C", wie er sagt. Am liebsten würde er Fluggerätemechatroniker werden. Falls das nicht klappt, Industriemechaniker. Er kann sich aber auch einen Beruf vorstellen, der mit Cyber-Sicherheit zu tun hat. Eines sieht man ihm auf jeden Fall an: Die Motivation ist groß, sich ein Leben in Deutschland aufzubauen.

Saarland baut Flüchtlingshilfe aus


Die Landesregierung weitet ihr Programm zur Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt aus. Allein eine Million Euro sollen in zusätzliche Deutsch-Kurse fließen.Saarbrücken. Ein Dach über den Kopf, Essen, Kleidung, medizinische Betreuung. All das für die Tausende Flüchtlinge zu organisieren, die nach Deutschland kommen, verlangt den Helfern eine Menge ab. Doch schon jetzt sei es wichtig, die Phase nach der Erstaufnahme in den Blick zu nehmen und die Integration in die Arbeitswelt anzugehen, sagt die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD). Sie hat dazu am Freitag einen Sieben-Punkte-Plan vorgelegt - der auf dem im Mai vom Zukunftsbündnis Fachkräfte Saar beschlossenen "Aktionsprogramms Zuwanderung" aufbaut. "Im Mittelpunkt stehen Flüchtlinge, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei uns bleiben. Und es werden viele bleiben", sagt Rehlinger. Die Integration sei eine große Herausforderung, darin liege angesichts des drohenden Fachkräftemangels aber auch eine Chance. "Flüchtlinge können die Fachkräfte von morgen sein", sagte Rehlinger und fügte zu: "Aber sie werden es nicht automatisch werden."

Damit die Neuankömmlinge im Berufsleben Fuß fassen können, steht ganz oben auf der Liste des Sieben-Punkte-Plans die Sprachförderung. Bis zu einer Million Euro will das Land für Deutsch-Einsteiger-Kurse zur Verfügung stellen (wir berichteten). 50 Kurse mit durchschnittlich je 15 Teilnehmern können damit finanziert werden. Die Sprachkurse sind als Ergänzung der Sprachförderung des Bundes gedacht. Vor allem soll den Flüchtlingen möglichst bald nach Zuweisung in eine Kommune ein Sprachkurs-Angebot gemacht werden, sagte Rehlinger.

Neu im Integrationsprogramm sind sieben sogenannte Beschäftigungs-Coaches. Sie sollen in den Kommunen Flüchtlinge, die über schulische oder berufliche Qualifikationen verfügen, bei der Erst-Orientierung auf dem Arbeitsmarkt helfen, etwa bei der Klärung von Formalitäten unterstützen oder Kontakt zur Arbeitsagentur herstellen. Für Deutsch-Kurse und Beschäftigungs-Coaches will das Land insgesamt 2,15 Millionen Euro bis Ende 2017 aufwenden.

Vielfach ist nicht klar, welche Fähigkeiten die Flüchtlinge in ihrem Beruf haben. Zeugnisse sind oft verloren gegangen. Praktische Eignungstests sollen künftig helfen, Kompetenzen zu überprüfen und entsprechend anzuerkennen. "Das betrifft insbesondere die Handwerksberufe", sagte die Ministerin. Darüber hinaus hat das Land einen Online-Leitfaden erarbeitet, in dem Arbeitgeber Informationen zu rechtlichen Bestimmungen finden, die bei der Beschäftigung von Ausländern zu beachten sind.

Schließlich wiederholt die Ministerin in dem Sieben-Punkte-Plan ihre Forderung an die Bundesregierung, die Jobcenter besser auszustatten. "Wir brauchen deutlich mehr Geld für die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt." Doch dies dürfe nicht zu Lasten der Mittel gehen für die Vermittlung von denen, "die hier sind", zum Beispiel von Langzeitarbeitslosen. "Wenn in der Bevölkerung berechtigt der Eindruck entstünde: 'Für Flüchtlinge ist Geld da, für mich ist keines da‘, dann werden wir ein massives Akzeptanzproblem haben."

Nicht zuletzt deshalb will Rehlinger auch erneut beim Bundesarbeits- und Bundesfinanzministerium auf die Einrichtung eines öffentlichen Arbeitsmarktes drängen - über den sogenannten Aktiv-Passiv-Transfer. Dabei würden Hartz-IV-Leistungen in eine Arbeitsmarktförderung umgewidmet und Menschen so in Arbeit gebracht. mzt



Meinung:
Gezieltes Engagement

 Negassi Kidenamariam und Hafton Hadush (v.l.) haben konkrete Zukunftspläne.

Negassi Kidenamariam und Hafton Hadush (v.l.) haben konkrete Zukunftspläne.

 Anke Rehlinger

Anke Rehlinger

Von SZ-Redakteur Volker Meyer zu Tittingdorf

Wir schaffen das, sagt die Kanzlerin. So manche haben Sorgen und Zweifel, ob es gelingt, so unerwartet viele Flüchtlinge zu integrieren. Vor Ort hier im Saarland wird aber eines deutlich: Das Engagement und der Wille, dass wir das schaffen, ist groß. Ein Beispiel ist die Arbeit des Sabene-Netzwerks. Auch die Landesregierung legt sich ins Zeug und kratzt trotz prekärer Haushaltslage Mittel zusammen, um gezielt zu helfen, damit die Neuankömmlinge sich eine Zukunft aufbauen können. Getrieben ist die Unterstützung zunächst aus der humanitären Verpflichtung, aber es gibt auch ein Eigeninteresse. Die Flüchtlinge können die gesuchten Fachkräfte von morgen sein. Damit sie es auch werden, muss man jetzt handeln. Das hat man hier im Saarland offenbar verstanden.

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