Frankreich weckt Angst vor neuer Krise

Mailand · Frankreich dürfte noch mehr Zeit zum Defizitabbau erhalten. Das deutete sich auf dem Treffen der EU-Finanzminister in Mailand an. Zugleich wächst aber der Reformdruck auf Paris.

Für den französischen Finanzminister Michel Sapin war es ein schwieriges Wochenende. Seine jüngste Ankündigung zur hohen Neuverschuldung seines Landes war das heimliche Topthema des zweitägigen Treffens der EU-Finanzminister in Mailand .

Zwei Mal hat Frankreich schon eine Fristverlängerung erhalten, um das Etat-Defizit unter die Grenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken, die im Euro-Stabilitätspakt verankert ist. Doch musste Sapin am Mittwoch einräumen, dass er dies erst 2017 und nicht, wie zugesagt, 2015 schaffen werde. Im nächsten Jahr werde die Quote bei rund 4,3 Prozent liegen. Bald wird die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone seinen Kreditgebern die Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres schulden. Derzeit beträgt das Defizit 97 Prozent. In Italien sind es bereits 135 Prozent.

Das sind Werte, bei denen Investoren anfangen könnten, Risikoaufschläge zu verlangen. Dennoch liegen die Zinskosten extrem niedrig - was der Europäischen Zentralbank (EZB) zu verdanken ist, die 2012 angekündigt hatte, notfalls Staatspapiere aufzukaufen. Die Krisenländer bekamen so mehr Zeit, um ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen und Reformen auf den Weg zu bringen. Doch haben die Regierungen in Rom und Paris das nicht geschafft. "Frankreich und Italien haben zwei Jahre verloren", heißt es in Kreisen der Bundesbank: "Wir steuern dort auf eine schwierige Situation bei der Schuldentragfähigkeit hin, was die Sorge vor einer Eurokrise 2.0 befeuert."

Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, mag es verwundern, dass Sapin in Gesprächen mit EZB-Chef Mario Draghi , EU-Währungskommissar Jyrki Katainen und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU ) durchaus auf die ernste Lage hingewiesen, aber nicht vor Publikum attackiert wurde. "Die politischen Kosten, Frankreich öffentlich anzugreifen oder Strafzahlungen zu fordern, könnten noch höher sein", sagte ein EU-Diplomat in Mailand . Gemeint ist die Gefahr, dass der rechtsextreme Front National noch weiter Zulauf bekommen könnte, sollte die Unzufriedenheit der Bürger weiter zunehmen. "Wir wissen, dass Frankreich in einer nicht einfachen Lage ist. Frankreich weiß, was es tun muss", sagte Schäuble und verwies auf die EU-Kommission, die sich zuerst eine Meinung zum französischen Etat-Entwurf bilden muss, der bis Mitte Oktober vorliegen muss. Dem Votum der EU-Behörde im November kommt entscheidende Bedeutung zu - vor allem weil die Finanzminister es nur mit einer Drei-Viertel-Mehrheit verändern können. Pikant ist, dass dies die erste Amtshandlung des künftigen EU-Währungskommissars und ehemaligen französischen Finanzministers Pierre Moscovici sein könnte. In Mailand deutete sich freilich an, dass Frankreich ein weiteres Mal Aufschub gewährt werden könnte. Man werde sich "im Rahmen der geltenden Regeln und ihrer Flexibilität" bewegen, kündigte Sapin an. Katainen erinnerte aber an die Bedingungen für derlei Flexibilität: Sie müsse "ökonomisch sinnvoll sein" und mit der festen "Verpflichtung zu Strukturreformen einhergehen". Auch Minister Schäuble deutete an, ein Strafverfahren könne vermieden werden, wenn sein Amtskollege die zugesagten Kürzungen über 21 Milliarden Euro durchsetzen könne. Damit würde Paris 2015 zumindest ein zugesagtes Ziel erreichen - das sogenannte strukturelle Defizit, das konjunkturelle Schwankungen und einmalige Kosten außen vor lässt, auf 0,6 Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Die Ruhe an den Finanzmärkten trügt. Die Euro-Krise droht wieder aufzuflammen. Frankreich hat die Zeit ungenutzt verstreichen lassen, die die Europäische Zentralbank verschafft hatte, indem sie ankündigte, notfalls Staatspapiere aufzukaufen. Staatspräsident François Hollande muss endlich den Gerhard Schröder machen und sich zu drastischen Reformen durchringen, um den Haushalt zu sanieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Eine Agenda 2020 wäre für Frankreich - und die EU - der beste Schutz vor einer neuen Krise. Aber wird Hollande den Mut dazu haben?

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