Die Treuhand wirkt bis heute nach

Berlin · Es gab kein historisches Vorbild, keine Blaupause. Und es war eine gigantische Aufgabe: der Umbau einer zum großen Teil maroden Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft. Organisiert von der Treuhand.

Fabrikhallen stehen leer, Fenster sind eingeschlagen. Einst beschäftigte das Industriekombinat VEB Schwermaschinenbau-Kombinat "Ernst Thälmann " in Magdeburg 30 000 Mitarbeiter. Heute sind es in mehreren Nachfolgegesellschaften einige Hundert. Teile des großen Geländes wurden zu einem Industriepark umgebaut. Es ist auch das Erbe einer "Jahrhundertaufgabe": der Umwandlung der DDR-Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft . Die Treuhand , die den Übergang organisieren musste, ist bis heute höchst umstritten. Sie sei das "Symbol eines brutalen, ungezügelten Kapitalismus", kritisiert Iris Gleicke (SPD ), die Ost-Beauftragte der Bundesregierung. Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sagt: "Die Haltung, so schnell wie möglich um fast jeden Preis zu privatisieren, auch um den Preis der Verschleuderung, hat zu Fehlern geführt." Ganz anders dagegen der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel : Fehler passierten bei einem solchen gewaltigen Projekt überall - aber: "Insgesamt hat die Treuhandanstalt einen unverzichtbaren Beitrag für den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft in den neuen Bundesländern erbracht."

Die Idee der Treuhandanstalt, deren Gründung am 1. März 1990 von der letzten SED/PDS-Regierung unter Hans Modrow beschlossen wurde, war zunächst: Das Volksvermögen sollte zusammengehalten und später die Bürger daran beteiligt werden. Doch der Charakter änderte sich, als drei Monate später die Volkskammer einem Treuhand-Gesetz zustimmte: Nun ging es um die Privatisierung des volkseigenen Vermögens.

Die Ausgangslage aber war alles andere als günstig. Die DDR-Wirtschaft war in großen Teilen marode, viele Industrieanlagen waren veraltet. Dazu waren die Absatzmärkte im Ostblock weggebrochen. Die Treuhand "musste die Erblast von 40 Jahren Planwirtschaft und Misswirtschaft übernehmen", sagt Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel von der Uni Konstanz.

Schock Währungsunion

Dazu kam der "D-Mark-Schock". Die Währungsunion am 1. Juli 1990 mit einer Umstellung der Löhne und Gehälter im Kurs von 1:1 belastete die Betriebe massiv, viele Firmen waren über Nacht nicht mehr wettbewerbsfähig. Vorsitzender des Treuhand-Verwaltungsrats wurde ein westdeutscher Top-Manager: Detlev Rohwedder, Vorstandschef des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch. Nach der Ermordung Rohwedders im April 1991 durch die RAF folgte ihm Birgit Breuel .

Die Strategie der Treuhand folgte offiziell einem Dreiklang: "Schnell privatisieren, entschlossen sanieren, behutsam stilllegen." Und dies möglichst schnell: "Denn jeder Tag, an dem ein maroder Betrieb nicht privatisiert oder liquidiert wurde, kostete das Geld des Steuerzahlers", sagt Seibel.

Bis zur Auflösung der Treuhand Ende 1994 wurden rund 3500 von insgesamt etwa 14 000 Betrieben im Treuhand-Portfolio abgewickelt. Die Treuhand wies einen Verlust rund 250 Milliarden D-Mark aus. Hunderttausende Jobs gingen verloren. Die Treuhand habe die "Drecksarbeit der Abwicklung" erledigt, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel - politisch die Weichen gestellt aber habe die Bundesregierung.

Im Gedächtnis blieben vor allem die spektakulären Fälle der Treuhand : die umstrittene Auflösung der Fluggesellschaft Interflug und der von dubiosen Begleitumständen überschattete Werftenverkauf. Der verzweifelte Kampf der Bergleute in Bischofferode gegen die Schließung ihres Kaliwerkes - und angebliche Schmiergeldzahlungen beim Verkauf der Leuna-Raffinerie an den französischen Mineralölkonzern Elf Aquitaine.

Die Hauptkritik ist aber bis heute: Die Treuhand hat zu schnell stillgelegt und zu wenig saniert. "Die Betriebe hätten viel mehr Zeit für eine Sanierung gebraucht", sagt Hickel. Es habe kein strukturelles Konzept gegeben. Westdeutsche Kapitalinteressen hätten dominiert.

Und heute? Im Osten gibt es Erfolgsgeschichten wie etwa den Technologiekonzern Jenoptik, hervorgegangen aus einem DDR-Kombinat. Insgesamt aber befindet sich die Ost-Wirtschaft nach wie vor in einem Aufholprozess.

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