Merkel verteidigt Reformen

Berlin · Viel Kritik muss die Kanzlerin von Seiten der Arbeitgeber anhören. Viele der jüngsten Reformen halten die Unternehmen für Teufelszeug. Doch Merkel stellt klar, dass sie am eingeschlagenen Kurs festhält.

Draußen vor dem Tagungsort, einem noblen Berliner Hotel, machen ein paar Dutzend Gewerkschafter Front gegen das geplante Gesetz zur Tarifeinheit. "Die GroKo will das Streikrecht kappen", steht auf Transparenten. Fahnen werden geschwenkt. Auch die der Lokführergewerkschaft GDL , die das Paragrafenwerk zum Dokument ihres eigenen Untergangs aufgebauscht hat. Drinnen im Saal lässt Angela Merkel indes keinerlei Zweifel an der Durchsetzung des Prinzips "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag". Besagtes Gesetz "nimmt jetzt klare Züge an", ruft die Kanzlerin, was angesichts des erneut absehbaren Stillstands auf den Schienen unfreiwillig komisch klingt. Ein paar Herren im Publikum müssen lachen. "Das is'n Ding", sagte Merkel schmunzelnd, wohl selbst verblüfft über ihre Wortwahl.

Dabei ist der Arbeitgebertag eigentlich alles andere als vergnügungssteuerpflichtig. Das stellt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer gleich zu Beginn klar. Der erfolgsverwöhnten deutschen Wirtschaft droht die Puste auszugehen. Die Konjunktur schwächelt. Alle Prognosen sind nur noch verhalten optimistisch. Und nach Kramers Ansicht ist das nicht nur internationalen Problemen wie dem Ukraine-Konflikt oder den südlichen Sorgenkindern in der EU geschuldet, sondern auch der Politik der großen Koalition. Mindestlohn, Rente mit 63, Frauenquote, all das hält die Wirtschaft für Teufelszeug. "Zunehmende Regulierung und Gängelung" hätten "ganz sicher nicht Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gefördert", resümiert Kramer. Um die Antriebskräfte wieder zu stärken, brauche es für den Rest der Wahlperiode "ein Belastungsmoratorium", so der Arbeitgeberchef. Gemeint ist der Verzicht auf Maßnahmen, die Schwarz-Rot laut Koalitionsvereinbarung noch abarbeiten will: strengere Regeln bei Werkverträgen zum Beispiel, oder ein Entgeltgleichheitsgesetz.

Doch Merkel ist nicht gekommen, um der Wirtschaftselite nach dem Munde zu reden. Moderat im Ton, aber bestimmt in der Sache, macht sie deutlich, dass ihre Regierung keinen Grund zur Kursänderung sieht. So rechtfertigt etwa die wachsende Zahl von Werkverträgen für Merkel auch eine stärkere Rolle der Betriebsräte. Sie sollen laut Koalitionsvereinbarung mehr Informationsrechte bekommen. Bei der Frauenquote will die CDU-Politikerin ebenfalls nicht locker lassen. Schließlich sei es trotz aller Selbstverpflichtungen in den Unternehmen hier nur "bedächtig vorangegangen". Dabei stellten mehr Frauen in Führungspositionen eine "Bereicherung" für die Wirtschaft dar, belehrt Merkel die Zuhörer.

Freilich hat die Kanzlerin auch erfreuliche Botschaften für das fast ausschließlich männliche Publikum parat. Die "Spielräume" für eine Senkung des Rentenbeitrages wolle man nutzen, verspricht Merkel. Das hilft, die Lohnnebenkosten in Zaum zu halten, denn im kommenden Jahr steigt der Beitrag zur Pflegeversicherung. Zugleich lässt Merkel ihre Ablehnung einer "Anti-Stressverordnung" sowie der Teilrente schon mit 60 erkennen. "Das sehe ich nicht", erklärt die Regierungschefin zu den Wünschen der SPD .

Deren Spitzenmann, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel , ist nach Merkel dran. Auf die Absage der Kanzlerin geht er nicht ein. Dafür stellt Gabriel den Bürokratieabbau in den Mittelpunkt seiner Rede. Passend dazu hatte Gabriel einen 25-Punkte-Plan in die Öffentlichkeit lanciert. Weniger Buchführungspflichten, mehr Freiräume für junge Unternehmen. So etwas hört man im Arbeitgeberlager natürlich gern. Aber auch Gabriel hat nicht nur Streicheleinheiten parat. Beim Reizthema Investitionen schreibt er den Anwesenden ins Stammbuch, dass auch die Wirtschaft selbst deutlich mehr Mittel dafür locker machen müsse. Am Ende bekommt er jedoch genauso artig Applaus wie zuvor die Kanzlerin. Die große Konfrontation zwischen Politik und Wirtschaft bleibt aus.

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