Von Drei-Tage-Woche bis Flexi-Rente

Berlin/Frankfurt · Neue Gewerkschaftsforderungen zum flexiblen Wechsel in den Ruhestand hören sich für Arbeitnehmer attraktiv an. Es bleiben aber viele Fragen offen: etwa zur Finanzierung und zur Sicherung des Bedarfs an Fachkräften.

 Beschäftigte in Chemiebranche sollen ab 60 ihre Arbeitszeit verkürzen können, fordert die Gewerkschaft IG BCE. Symbolfoto: Woitas/dpa

Beschäftigte in Chemiebranche sollen ab 60 ihre Arbeitszeit verkürzen können, fordert die Gewerkschaft IG BCE. Symbolfoto: Woitas/dpa

Wenn ältere Beschäftigte im Job früher kürzertreten wollen, scheint dies allen zu nutzen: Den Mitarbeitern bringt es Entlastung, die Unternehmen können angesichts des Mangels an jungen Fachkräften dennoch auf den Erfahrungsschatz ihrer Senioren setzen. Forderungen der Chemie-Gewerkschaft IG BCE, in der Tarifrunde 2015 einen Anspruch auf eine Drei- oder Vier-Tage-Woche ab 60 Jahren durchzusetzen, stoßen im Arbeitgeberlager jedoch auf Skepsis. Einige Kernpunkte in der Debatte um "gleitende Übergänge" in die Rente:

Tarifliche kontra gesetzliche Regelungen: Vereinbarungen etwa zu Altersteilzeit oder Vorruhestand werden meist über die Tarifverträge der jeweiligen Branche abgedeckt oder betriebsintern getroffen. Die IG BCE sieht beim Thema Arbeitszeitverkürzung für Ältere auch die Politik in der Pflicht: Deutschlands drittgrößte Gewerkschaft schlägt vor, dass sich neben einem Arbeitgeber-Lohnausgleich die gesetzliche Rentenversicherung an der Finanzierung beteiligt. "Hilfreich wäre es, wenn der Gesetzgeber eine Teilrente ab 60 möglich machen würde", sagt Vorstand Peter Hausmann.

Steigende Beschäftigung Älterer: Insgesamt zeigt der Trend klar in Richtung eines längeren Arbeitslebens. Die Erwerbstätigenquote älterer Menschen in Deutschland stieg in den letzten zehn Jahren überproportional: Während 2003 nur knapp 13 Prozent der 60- bis unter 65-Jährigen noch einem sozialversicherungspflichtigen Job nachgingen, waren es Ende 2013 fast 32 Prozent in dieser Altersgruppe.

"Gleitender Übergang" schon länger möglich: Seit 1992 ist es in Deutschland möglich, bei entsprechendem Einkommensverzicht vor Erreichen des gesetzlichen Rentenalters schrittweise aus dem Beruf auszusteigen. Kritiker bemängeln, die bisherigen Spielregeln für die frühzeitige Teilrente seien zu starr und komplex. So sind Beschränkungen für Zusatzverdienste an die Lohnentwicklung gekoppelt. Die Bundesregierung diskutiert über eine "Flexi-Rente", bei der ab dem 60. Lebensjahr 30 bis 70 Prozent der vollen Summe beantragt werden könnten. Ein ähnlicher Vorstoß des Deutschen Gewerkschaftsbunds stieß bei Union und Arbeitgebern auf Widerstand.

Nachfrage nach geltender Teilrente bislang gering: Die gesetzliche Teilrente fristet ein Schattendasein. Nach Angaben der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung entscheiden sich derzeit in Deutschland jährlich nur gut 1000 ältere Beschäftigte dafür.

Debatte in der Chemiebranche: Die IG BCE will das Anspruchsalter für eine kürzere Wochenarbeitszeit von 63 Jahren auf 60 Jahre drücken. Vorstand Hausmann sieht darin auch eine Chance für die Arbeitgeber: Je besser es gelinge, Belastungen zu verringern, desto mehr könnten die Firmen von motivierten Kollegen profitieren. "Drei- oder Vier-Tage-Wochen sind keine Utopie, sondern erforderlich, damit die Leute gesund in Rente gehen können." Der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) will jedoch keine pauschalen Regeln. "Angesichts des demografischen Wandels ist unser zentrales Ziel, möglichst viele Beschäftigte möglichst lange motiviert und leistungsfähig im Betrieb zu halten", sagt Verbandschef Klaus-Peter Stiller. Die Tarifverträge erlaubten bereits die Gestaltung der Lebensarbeitszeit.

Debatte in der Metall- und Elektroindustrie: Die von der großen Koalition beschlossenen Änderungen zur Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren machten es in der Stahlindustrie sowie in der Schlüsselbranche Metall und Elektro nötig, bestehende Regeln zur tariflichen Altersteilzeit neu zu fassen. Grundsätzlich will auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall den Beschäftigten die Möglichkeit erhalten, bis zu zwei Jahre vor dem eigentlichen Renteneintritt auszuscheiden. Dafür müssen sie bislang vier Jahre mit 82 Prozent ihres letzten Nettoentgelts auskommen. In den im Dezember startenden Tarifverhandlungen will die IG Metall höhere Sätze durchsetzen. Hinzu kommt die Forderung nach einer neuartigen Arbeitszeitverkürzung für Fortbildungswillige.

Meinung:

Die Älteren werden gebraucht

Von SZ-RedakteurVolker Meyer zu Tittingdorf

Die Idee hat Charme. Viele Arbeitnehmer wollen sicherlich lieber nach und nach aus dem Beruf aussteigen statt von heute auf morgen vom Vollzeit-Arbeiter zum Vollzeit-Rentner zu werden. Doch kranken die Vorschläge für sanfte Wege in die Rente daran, dass sie zu einem immer früheren Rückzug aus dem Erwerbsleben einladen. Das aber wäre nicht finanzierbar, zumal die Reserven der Sozialkassen durch Mütterrente und Rente mit 63 dahinschwinden. Außerdem droht ein noch stärkerer Fachkräftemangel. Statt immer neuer Vorschläge für einen früheren Berufsausstieg sind Ideen gefragt, wie die Menschen länger ihren Beruf ausüben können. Die Älteren werden gebraucht - und möglichst viele in Vollzeit.

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