Die duale Ausbildung schwächelt

Berlin · Die Zahl der neuen Ausbildungsverträge ist im vorigen Jahr abermals zurückgegangen. Rund 522 000 Verträge wurden abgeschlossen. 37 100 der bei den Arbeitsagenturen gemeldeten Lehrstellen blieben unbesetzt.

Deutschland wird international um sein duales Ausbildungssystem beneidet. Doch immer weniger junge Leute treten eine Lehre an. "Wir müssen die gesellschaftliche Wertschätzung der dualen Ausbildung wieder erhöhen", mahnte Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU ) gestern bei der Vorstellung des Berufsbildungsberichts der Bundesregierung.

2014 haben die Firmen nur noch mit rund 522 000 jungen Leuten einen Lehrvertrag abgeschlossen. Ein absoluter Tiefststand seit der deutschen Wiedervereinigung . Auf der anderen Seite gab es mit 37 100 unbesetzten Ausbildungsplätzen einen neuen Höchststand. Und das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn hier handelt es sich um Plätze, die den Arbeitsagenturen gemeldet wurden. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) geht von 80 000 freien Lehrstellen aus. Auch nach offizieller Darstellung kommen auf 100 Lehrstellensuchende 103 Ausbildungsangebote. Bis vor kurzem war es noch genau umgekehrt.

Für den Rückgang der Ausbildungsverträge führt der Regierungsbericht mehrere Gründe an. Zum einen die demografische Entwicklung: In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Schulabsolventen um etwa 100 000 reduziert. Andererseits nahm rund ein Drittel mehr ein Studium auf. Bereits seit 2013 übersteigt die Zahl der Studienanfänger deshalb die der Azubis. So gesehen hat der wachsende Drang nach höheren Bildungsabschlüssen auch eine Schattenseite, zumal viele dem verstärkten Leistungsdruck offenbar nicht gewachsen sind. Jedes Jahr brechen etwa 100 000 Studenten ihr Studium ab. Ministerin Wanka warb daher dafür, eine Lehre nicht als minderwertig zu betrachten: "Die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung muss in den Köpfen ankommen."

Eine weitere Ursache für die rückläufige Zahl der Ausbildungsverträge sieht der Regierungsbericht in dem Problem, Angebot und Nachfrage unter einen Hut zu bringen. Betriebe klagen zunehmend, dass sie keine geeigneten Azubis finden. Andererseits blieben 2014 fast 21 000 Lehrstellensuchende unversorgt. Hinzu kamen mehr als 98 000 ursprüngliche Bewerber, die offenbar aufgegeben haben.

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD ) räumte ein, dass der Übergang von der Schule in die Ausbildung politisch "noch intensiver" unterstützt werden müsse. Dazu gibt es bereits mehrere Förderprogramme. Insgesamt stellt die Regierung bis 2018 nach eigenen Angaben rund 1,3 Milliarden Euro für die Förderung der betrieblichen Ausbildung bereit. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mahnte auch die Wirtschaft, ihre Verantwortung für die duale Ausbildung wahrzunehmen. "Viele Arbeitgeber müssen endlich von ihrem hohen Ross absteigen und auch Hauptschüler verstärkt ausbilden", sagte DGB-Vize Elke Hannack.

Meinung:

Gut ist nicht genug

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter

Mindestens 37 100 Ausbildungsplätze blieben 2014 unbesetzt. Aus Sicht der Unternehmen ist das ein Ärgernis. Doch sollten sie nicht nur die Demografie und den "Akademisierungswahn" beklagen. Es liegt auch an den Betrieben selbst, die Lücke zu schließen. Nach einer Untersuchung des DGB sind Hauptschulabsolventen von fast zwei Dritteln der angebotenen Lehrstellen praktisch ausgeschlossen. Doch nicht jeder Koch muss die mittlere Reife haben und nicht jeder Bankangestellte ein Abitur. Will die Wirtschaft des Fachkräfteproblems Herr werden, muss sie auch Potenziale nutzen, die vordem kaum in Betracht kamen. Die Bundesregierung hat dies erkannt und fördert verstärkt die Ausbildungsvorbereitung und Berufsorientierung. Nichts ist eben so gut, als dass man es nicht noch besser machen könnte.

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