Paris macht Deutsch zum sozialistischen Bauernopfer

Saarbrücken · Die sozialistische französische Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem hat einen Vorstoß gemacht, der in Frankreich für helle Aufregung sorgt: Sie will den zweisprachigen Klassen den Hahn zudrehen.

Und zwar am Collège, einer französischen Schulform für alle Kinder zwischen zehn und 14 Jahren.

Es wäre das Ende für die bilingualen Klassen, in denen Schüler ab dem sechsten Schuljahr neben Englisch auch Deutsch lernen können. Auch die Europaklassen mit ihren zwei zusätzlichen Wochenstunden Fremdsprachenunterricht sollen wegfallen, was das faktische Ende des Deutschunterrichts bedeuten würde.

Das Collège ist eine spezielle Form des französischen Bildungssystems, eine Art verpflichtende Gemeinschaftsschule. Nach der Grundschule müssen alle Kinder vier Jahre aufs Collège gehen. Erst danach können sie sich entscheiden, ob sie direkt einen Beruf erlernen oder auf ein Lycée (Gymnasium) gehen möchten. Eine pädagogische Aufgabe des Collèges besteht darin, dass alle Kinder vier Jahre lang die gleichen Chancen und die gleichen schulischen Voraussetzungen erhalten sollen - ohne Extrawürste. So zumindest lautet das sozialistische Bildungsideal, dem auch Ministerin Belkacem anhängt. Doch in einem Land wie Frankreich, das auf akademische Ranglisten ("Classements") fixiert ist, kommt Gleichmacherei in der Bildung überhaupt nicht gut an. Schon gar nicht bei bildungsbeflissenen Eltern, die die schulische Laufbahn ihrer Kinder strategisch planen und denen die notorisch niedrigen Ansprüche am Collège ohnehin gegen den Strich gehen. Deshalb gibt es an den Collèges einen bewährten Trick, die Gleichmacherei elegant zu umgehen, nämlich mit der Auswahl der Fremdsprachen. Das heißt, man schickt seine Kinder in eine bilinguale Klasse oder eine "Euroklasse", in der die Kombination Deutsch plus Englisch angeboten wird. Und so streben mehrheitlich die Bildungsbürger-Kinder in die zweisprachigen Klassen und wählen obendrein Deutsch, weil Deutsch als elitär und schwierig gilt. Oder, wie es eine Lehrerin am Collège Jean Moulin in Forbach zuspitzt: "In den Deutschklassen trifft man Sophie und Alexandre, aber nur selten Mustafa und Kevin."

Man kann davon ausgehen, dass es Bildungsministerin Belkacem also gar nicht in erster Linie darum geht, die deutsche Sprache zu verbannen. Sie möchte aber als Sozialistin Schluss damit machen, dass von bildungsbürgerlichen Eltern mit Hilfe des Fachs Deutsch weiterhin die ideologisch vorgegebene Gleichheit am Collège ausgehebelt wird. Deutsch ist dabei lediglich ein Bauernopfer.

Dass sich Deutsch an französischen Schulen im Aufwind befindet, hat im Übrigen nichts mit einer gestiegenen Beliebtheit des Fachs zu tun. Französische Schüler geben unumwunden zu, sie kämen mit Deutsch nun mal in die "besseren Klassen". Das bedeutet, dass sie eine bessere Ausbildung durch bessere Lehrer bekommen und damit für den Kampf um die begehrten Plätze an den für Karrieren in Frankreich so wichtigen Elite-Schulen besser gerüstet sind als Schüler aus anderen Klassen. Genau das, was Ministerin Belkacem verhindern will. Ironischerweise ist sie allerdings selbst ein Produkt der Eliteschule Science-Po. Um so peinlicher ist es da, dass sie aus ideologischen Gründen das Niveau am Collège noch weiter nach unten drücken will.

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