Schottland gewinnt

Herzlichen Glückwunsch, möchte man den Schotten zurufen, sie dürfen sich als Gewinner fühlen. Die Unionisten haben mit ihrer Mehrheit gegen eine Abspaltung dafür gesorgt, dass Europa und dem Königreich eine Menge Ärger erspart bleibt.

Die nächsten Jahre wären bei einem "Ja" von politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten begleitet gewesen. Die Unabhängigkeitsbefürworter wiederum haben mit ihrer Graswurzel-Kampagne dem Londoner Establishment beinahe den Schneid abgekauft und damit dem Königreich einen großen Dienst erwiesen: Sie haben die längst überfällige Föderalismusdebatte angezettelt.

Während Schottland mehr Kompetenzen aushandeln konnte und zufrieden sein kann, meckern verständlicherweise andere Regionen des Vereinigten Königreichs. Das politische System auf der Insel ist unfair und rückständig. Schottische Abgeordnete im Londoner Unterhaus dürfen auch über Gesetze abstimmen, die lediglich England oder Wales betreffen, doch alle Abgeordneten in der britischen Hauptstadt sind machtlos, wenn es um das schottische Rechtssystem geht. Darüber entscheidet ausschließlich das Regionalparlament in Edinburgh. Es ist deshalb keine Überraschung, dass London-müde Regionen wie Wales, Nordengland oder auch Cornwall, die ebenfalls mit der wirtschaftlichen und politischen Fokussierung auf die Hauptstadt hadern und mehr Machtbefugnisse fordern, aufschreien.

Das Referendum und die Diskussionen im Vorfeld haben offenbart, wie massiv der strukturelle Reformstau auf der Insel ist. Der Dezentralisierungsprozess aus den 90er Jahren, als der damalige Premierminister Tony Blair Regionalparlamente geschaffen hat, muss fortgeführt werden. Das hat endlich auch Cameron verstanden. Er kündigte bereits am Freitag den einzig richtigen Schritt an: die längst fällige Föderalismusdebatte nun auch auf die anderen Landesteile auszuweiten. Der Premier hat keine andere Wahl, die Tory-Abgeordneten in den vernachlässigten Regionen stehen ihm auf den Füßen.

London bietet sich die Chance, das rückständige politische System zu modernisieren und föderale Strukturen aufzubauen. Leider wäre es nicht das erste Mal, dass Pläne für Reformen wie eine Blase platzen, wenn sich die Aufregung gelegt hat. Dabei drohen Risiken. Falls David Cameron im nächsten Jahr die Parlamentswahlen gewinnen und seinen zunehmend EU-skeptischen Kurs fortführen sollte, werden die Schotten abermals aufbegehren. Der Premier hat ein Referendum über einen Verbleib in der EU in Aussicht gestellt. Stimmen die Briten dann für einen Austritt, geht das Spiel im europafreundlichen Schottland von Neuem los. Und dann könnte Großbritannien nicht so glimpflich davon kommen.

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