Der hitzige Kampf um Brasilien

Mexiko/Brasilia · Der Schauspieler Gregorio Duvivier hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er am Sonntag bei der Stichwahl um das Präsidentenamt Dilma Rousseff seine Stimme geben wird. In Brasilien ist es üblich, dass sich Prominente zu der einen oder anderen Seite bekennen.

Aber als Duvivier dieser Tage in einem Restaurant in Rio zum Essen saß, bekam er die Nachteile dieser Tradition zu spüren. Ein schlecht gelaunter Mann kam an seinen Tisch, schimpfte ihn "Kaviar-Linken" und konnte sich nur schwer zurückhalten, Duvivier keine Ohrfeige zu verpassen. Der Künstler war einigermaßen verwirrt nach der Attacke: "Derartige Wut hatte ich noch nie erlebt."

Die Geschichte erzählt viel über die Stimmung in Brasilien vor dem Showdown zwischen Amtsinhaberin Rousseff von der regierenden Arbeiterpartei PT und Aécio Neves von der sozialdemokratischen Partei PSDB. Das Land ist gespalten, und beide Seiten erwecken den Eindruck, beim Sieg des jeweils anderen sei der südamerikanische Riesenstaat dem Untergang geweiht.

Tatsächlich geht es um eine Grundsatzentscheidung. Setzt sich die Linkspartei PT mit ihrer Philosophie von einem starken Staat, wirtschaftlichem Protektionismus und ambitionierten Sozialprogrammen ein weiteres Mal durch? Oder gewinnt ein rechtsgerichteter Sozialdemokrat mit einer Idee von mehr Wirtschaftsliberalität und einer außenpolitischen Neuorientierung? Neves und seine PSDB stehen für eine unabhängige Zentralbank, Freihandel und mehr Distanz zu Peking und Havanna, dafür mehr Nähe zu Washington.

Die Märkte haben schon entschieden. Sie bevorzugen Neves. Der 54-Jährige hat sich als Ministerpräsident des nach São Paulo und Rio drittwichtigsten Bundesstaates Minas Gerais den Ruf eines hervorragenden Administrators erworben, der die Finanzen in Ordnung und die Wirtschaft nach vorne brachte. Viele Brasilianer trauen ihm das auch auf nationaler Ebene eher zu als Rousseff, unter deren Präsidentschaft die Ökonomie Brasiliens langsam in eine Krise rutschte.

Zum ersten Mal seit vielen Jahren steht die Stichwahl um das Präsidentenamt Spitz auf Knopf. In den beiden Fernsehdebatten ging es dementsprechend hart zu. Themen wie die Wirtschaft und die Außenpolitik boten lediglich Anlass, das Gegenüber persönlich anzugreifen und als korrupt darzustellen. Insgesamt machte der rhetorisch starke und jugendlich wirkende Neves einen besseren Eindruck als die behäbige 66-jährige Rousseff, der immer mehr ein Mutti-Image anhaftet.

In der jüngsten Umfrage stellten die Meinungsforscher aber erstmals einen minimalen Vorsprung Rousseffs fest. Sie schreiben diese möglicherweise entscheidende Trendwende einem neuen Optimismus der Brasilianer zur wirtschaftlichen Entwicklung zu, der aber kaum durch reale Entwicklungen gedeckt ist. Ob Neves es trotzdem schafft, hängt davon ab, ob er in den letzten Stunden des Wahlkampfs die starke Polarisierung des Landes zu seinen Gunsten aufbrechen kann. Dazu müsste er aber auch im armen Nordosten Stimmen sammeln, wo ein Drittel der Brasilianer lebt. Hier haben die Sozialprogramme von Rousseff und Vorgänger Lula da Silva das Elend gemildert und Millionen den Aufstieg in eine bescheidene Mittelschicht ermöglicht. Neves gilt dort als Vertreter der weißen Elite, die sich nie um die Probleme der Menschen scherte.

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