Darf Legasthenie-Hinweis im Abi-Zeugnis stehen?

Leipzig · Wie schreibt man das? Eine vertraute Frage bei komplizierten Wörtern, die im Büroalltag immer wieder auftauchen. Aufschluss über die Rechtschreibkünste potenzieller Arbeitnehmer könnte einem Arbeitgeber die Deutschnote im Abiturzeugnis geben.

Bisher jedenfalls: Heute entscheidet das Bundesverwaltungsgericht Leipzig in letzter Instanz darüber, ob in Zeugnissen darauf hingewiesen werden darf, dass die Rechtschreibung bei schriftlichen Prüfungen nicht bewertet wurde. Zwei Schüler aus Bayern mit Legasthenie , einer Lese- und Rechtschreibschwäche, hatten den Freistaat wegen Diskriminierung verklagt, weil in ihren Zeugnissen ein entsprechender Passus stand.

Das Urteil könnte Grundsatzcharakter haben, denn auch in anderen Ländern, etwa Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, können Legasthenie-Vermerke in Zeugnisse geschrieben werden. Vor dem Verwaltungsgericht München erzielten die Kläger zunächst einen Teilerfolg, in nächster Instanz beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bekamen sie 2014 auf ganzer Linie recht - allerdings aus formalen Gesichtspunkten: Es gebe keine gesetzliche Grundlage für ein solches Prozedere, sondern nur einen ministeriellen Erlass. Gegen diese Entscheidung legten Freistaat, Landesanwaltschaft und ein beklagtes privates Gymnasium Revision ein, so dass das Bundesverwaltungsgericht den Streit nun abschließend klären muss.

Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sieht dem Urteil kritisch entgegen. Eine nicht ausgewiesene Rechtschreibschwäche in Zeugnissen könnte einem möglichen Arbeitgeber einen falschen Eindruck vermitteln. "Wer eine Zwei in Deutsch sieht, sollte sich darauf verlassen können, dass auch eine Rechtschreibsicherheit dahinter steckt", betont der Oberstudiendirektor. Er schlägt hingegen vor, die Förderung von Kindern mit Rechtschreibschwäche in Grundschule und Mittelstufe auszubauen, damit bis zum Abgangszeugnis eine größtmögliche Verbesserung erreicht werde.

Sollte den Schülern recht gegeben werden und der Hinweis auf Legasthenie künftig wegfallen, befürchtet der Lehrer, dass das Bestreben einiger Eltern , die Abiturnoten durch Inanspruchnahme des Sonderschutzes bei der Notenvergabe zu verbessern, steigen werde. "Wir haben beides: Nicht anerkannte Legastheniker, weil ihre Eltern diese Lernschwäche nicht bemerken oder sich nicht darum kümmern, und Eltern , die das bewusst pushen, um die Noten zu verbessern." In städtischen Ballungszentren in Oberbayern gebe es etwa drei bis vier Mal so viel Legasthenie-Fälle wie in ländlichen Gegenden in Niederbayern. Dafür sei das Eltern-Klientel der jeweiligen Region verantwortlich.

Ganz anders beurteilt der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie in Hannover die Situation. Die Diskussion zeige, "dass Legasthenie immer noch nicht als Behinderung anerkannt ist; man lässt sie zum Nachteil der Betroffenen werden, stigmatisiert sie", sagte Verbandssprecherin Annette Hönighaus. "Das Handicap des Betroffenen wird im Zeugnis dokumentiert. Damit hat derjenige Schwierigkeiten im Bewerbungsprozess." Dass diese Probleme aus Sicht des Arbeitgebers auch zu Recht bestehen könnten, findet sie nicht - auch weil es Hilfsmittel wie Rechtschreib- oder Sprachprogramme gebe. "Außerdem gehe ich davon aus, dass jemand mit Lese- und Rechtschreibschwäche auch nicht ausgerechnet Lektor werden möchte."

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